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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber
Autoren: Heinrich Steinfest
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bestehenden Unterwäsche bedeckt und gefestigt wurde und der üppigen, wenngleich nicht fetten Gestalt der Tänzerin eine radikal gefällige Note verlieh. Mit ihren Händen griff sie sich kurz an den Hintern, preßte die Fingerkuppen in das Fleisch, aus dessen Einbuchtungen die Spuren gelackter Nägel zehnäugig aufleuchteten. Die wiegenden Bewegungen wurden nun heftiger, steigerten sich – zusammen mit der Musik – zu einem psychedelischen Ausdruck, den sie, wiederum in Einklang mit dem Gesang, abrupt abbrach, sekundenlang völlig starr blieb, dann mit ihren Fingern wie auf einer Tastatur die Wirbelsäule aufwärts fuhr, den Verschluß ihres Büstenhalters öffnete und die Träger abwechselnd über eine Etappe des rechten und des linken Armes führte, um das »reizende« Ding schließlich in gemäßigtem Bogen von sich zu werfen. Beinahe im selben Moment stieß sie sich mit einem ihrer Stöckel ab, drehte sich auf dem anderen um die eigene Achse und bremste, indem sie das abgewinkelte Bein ausstreckte und mit dem Absatz in den Teppich stieß, womit sie wieder so breitbeinig wie zu Anfang dastand, doch jetzt frontal zu ihrem Gast. Mit den Händen fuhr sie unter ihre Brüste, durch die der Kunststoff durchzuschimmern schien, hob sie an, was eigentlich kaum noch ging, streckte Kinn und Oberkörper ihrem Gast entgegen und schenkte ihm einen verführerischen Blick, in welchem nach Vavras Überzeugung jene Verachtung lag, die so gut wie jede Frau für so gut wie jeden Mann hegt. Nach einem kurzen Moment der Zurschaustellung ihrer beiden präparierten Körperteile vollzog sie zwei Schritte, ging, die Beine fest zusammengepreßt, in die Knie, hob ihren Kimono auf und warf ihn sich um. Als sei es einem schrecklichen Zufall zu verdanken, daß sie so gut wie nackt war und sich mit diesem Mann im selben Zimmer befand, flüchtete sie mit Trippelschritten aus dem Raum.
    »Widerlich!« dachte Vavra.
    Eine gewisse Professionalität der Choreographie war ihm freilich nicht verborgen geblieben. Aber würde er dafür bezahlen müssen? Mit Geld, das er nicht hatte? Mit Schlimmerem? Würde er noch weitere unverlangte Manöver der Verführung zu ertragen haben? Doch als Frau Liepold zurückkam, war ihr Blick absolut trocken, der Trainingsanzug wieder zwischen Haut und Kimono und ihre Hand mit Glas und Zigarette beschäftigt. Sie setzte sich auf ihren Fauteuil, nahm einen Schluck und fragte Vavra, wie ihm ihre Show gefallen habe. Als er nicht antwortete, meinte sie: »Alles aus der Volkshochschule.«
    Vavra machte ein verständnisloses Gesicht. Liepold erklärte, daß sie auf der Volkshochschule einen Stripteasekurs belegt habe. Er brauche sich keine falschen Vorstellungen zu machen. Dort werde hart gearbeitet. Eine großartige Sache. Die Leiterin sei eine aufgeschlossene Balletteuse und einst an großen Häusern engagiert gewesen. Die Kunst der Entblößung werde leider allgemein unterschätzt, als reine Frivolität abgetan. Die meisten der Kursteilnehmerinnen seien natürlich darauf aus, den Waschlappen, mit denen sie verheiratet wären, eine späte Gefühlserregung, zumindest Aufmerksamkeit abzuringen, die Kerle – vielleicht auch nur der Finanzen wegen – im Haus zu halten. Darauf verzichte sie gerne. Sie habe zwei Ehen hinter sich. Beide seien fanatische Zuseher von Sportübertragungen gewesen. Was sie nie ganz begriffen habe. Dieses Interesse gerade der Unbeweglichen an der Beweglichkeit anderer Männer.
    Vavra war zugleich erleichtert und erschüttert. Erleichtert, daß es also nicht nötig sein würde, sich diese Frau vom Leibe zu halten. Erschüttert über den Niedergang der Volkshochschulen.
    Aus dem Vorraum drang ein Husten, das sehr bestimmt klang, anmaßend, ein Husten aus der Überzeugung heraus, daß die Welt schlecht sei und in dieser Welt die eigenen Kinder das Allerschlechteste.
    Liepold griff sich an die Stirn, als versuche sie einen Schmerz zu dämmen, und sagte: »Meine Mutter im Vorzimmer«, wie man sagt: meine Schraube im Knochen.
    Eine pummelige, kleine Person Ende Siebzig trat ein. Goldbesticktes Kostüm. Zapfenartige Broschen. Die Perücke etwa in der Art eines Storchenhorstes. Lippenstift auch am Hals. Glatte Haut. Dicke Brille, Augen wie Saugnäpfe. Eine von diesen netten, betagten Damen, die mit den Backen lächelten, deren Münder aber aussahen, als hätte ihnen Gott mit einem stumpfen Schweizermesser die Bosheit ins Gesicht geschnitzt. Ihre Stimme hatte einen künstlichen, weichen Ton: eine lyrische
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