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Tontauben

Tontauben

Titel: Tontauben
Autoren: Annette Mingels
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war das überhaupt für ein Name?
    Ja, sagte Frank, stell dir vor.
    Er hatte einen neuen Sender eingestellt und die Musik lauter gedreht, so dass sie fast schreien mussten, um sich zu unterhalten.
    Heißt deine Frau eigentlich wirklich Ara? Ich meine, ist das eine Abkürzung oder so was?
    Nein, sagte Frank. Sie heißt so.
    Er beantwortete zwar ihre Frage, aber er schaute sie immer noch nicht an. Im Moment sah es nicht so aus, als ob sie sich heute Nacht noch versöhnen würden.
    Ist das nicht eine Papageienart?, fragte Esther. Sie schürzte die Lippen und schnarrte: Arrra, Arrra, Arrra.
    Frank warf ihr einen kurzen bösen Blick zu und sagte scharf: Lass Ara aus dem Spiel, okay?
    And baby I know that I did my share, sang irgendjemand. Sie hatten ein weiteres Dorf hinter sich gelassen. Frank hatte sich genau an die Tempolimits gehalten, der Regen war wieder stärker geworden, von Zeit zu Zeit war ein Donnern zu hören, wie das Grollen eines gutmütigen, aber nachtragenden Riesen. Die Straße schlängelte sich zwischen Feldern und Wiesen hindurch, bevor die baumlose Fläche in einiger Entfernung von einem Wald abgelöst wurde.
    Nur damit ich dich richtig verstehe, sagte Esther langsam. Meinst du die Ara, die du ständig betrügst?
    Die Provokation lag nicht so sehr in der Frage selbst als vielmehr im Tonfall, in dem Esther sie gestellt hatte: sehr lieb, sehr gemein. Vielleicht, dachte sie, war sie damit einen Schritt zu weit gegangen. Er hatte schon vorher die Stirn gerunzelt, aber jetzt wurde sein Gesicht ganz verkniffen vor Wut.
    Es reicht, verdammt noch mal!, schrie er.
    Zornig schlug er gegen ihre Hand, mit der sie die Lüftung hatte aufdrehen wollen. Sie stieß gegen das Armaturenbrett, ein kurzer, scharfer Stich durchfuhr ihren Handrücken und setzte sich fort in den Unterarm.
    Das sind die Fakten, würde sie am nächsten Morgen sagen: Du hast mich geschlagen.
    Nein, würde er widersprechen, ich habe dich gestoßen. Wie eine Tiermutter ihr Junges aus der Gefahrenzone herausschubst, habe er sie wegscheuchen wollen.
    Aus deiner Gefahrenzone?
    Ja. Ich dachte, dass du mich anfassen wolltest, und mir war nicht danach.
    Sie hatten inzwischen den Wald erreicht, dicht standen die Bäume und ließen nur einen schmalen Streifen Himmel frei, der gegen das Schwarz der Tannen plötzlich kobaltblau wirkte. Die Nässe, die Dunkelheit – einen Moment lang fühlte Esther sich, als würden sie in einen Brunnen fallen. Er hat mich geschlagen, dachte sie, er hat mich wirklich geschlagen. Sie boxte gegen Franks Schulter. Er griff nach ihrem Handgelenk, um sie von sich fernzuhalten, und sie versuchte, ihm ihren Arm zu entwinden. Mit der freien Hand schlug sie nach ihm, und er duckte sich und hob die rechte Schulter, um sein Gesicht vor ihren Angriffen zu schützen. Der Wagen schlingerte nach links, dann nach rechts, sie mussten von der Straße abgekommen und auf unebenen Grund geraten sein, etwas prallte gegen den Kotflügel, ein Klirren, als würden zwei Metallstücke gegeneinanderschlagen, aber das konnte auch Teil der Musik sein. Dann hatte Frank das Auto wieder unter Kontrolle und sie fanden zurück auf die Fahrbahn.
    Okay, okay, rief er, hör auf!
    Er hatte ihre Hand losgelassen und starrte unwillig auf die Straße. Das Licht der Scheinwerfer reichte nur wenige Meter weit, dann wurde es vom Regen verschluckt. Esther ließ die Hände sinken. Ihre Wut war abgeflaut und hatte Verwunderung zurückgelassen: über ihn, vor allem aber über sich selbst.
    Du hast echt ein Problem, stellte sie fest.
    Sie sagte es ohne Vorwurf. Es klang, als ob sie ihm ein Geheimnis verrate.
    Du auch, entgegnete Frank barsch. Dann setzte er versöhnlich hinzu: Tut mir leid.
    Im Seitenspiegel war nichts als Dunkelheit.
    Was war das vorhin?, fragte Esther. So ein Schlag, ergänzte sie, als er sie verständnislos ansah. War da ein Tier? Meinst du, wir haben ein Tier angefahren? Kann das sein?
    Allein die Vorstellung versetzte sie in Panik. Sie sah einen Hasen vor sich, einen Fuchs oder einen Waschbär – gab es hier Waschbären? Sie stellte sich vor, wie der breite Bug des Jeeps das Tier erfasste und meterweit durch die Luft schleuderte. Wie es jetzt im Wald oder auf der Straße lag. Leidend oder bereits tot.
    Vor einigen Wochen hatte sie einen Vogel überfahren. Unter ihren Füßen hatte sie einen Stoß gespürt, sie bremste und hielt im Rückspiegel Ausschau nach dem Vogel, aber sie konnte ihn nicht entdecken. Es war ein dunkler, schmaler Vogel gewesen,
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