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Tom Thorne 04 - Blutzeichen

Titel: Tom Thorne 04 - Blutzeichen
Autoren: Mark Billingham
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konnte sie alles sehen und hören.
    Sie sah, wie den Mädchen die Kinnlade nach unten fiel, als wären sie alte Frauen, wie ihre Augen groß und glasig wurden, als ihre Füße sie weit wegtrugen von den Flammen. Von ihrer Freundin.
    Sie sah Jessica, mit den Armen wild um sich schlagend, einen Zickzack-Kurs über den Schulhof beschreibend. Sie hörte die Schreie, hörte die Absätze auf dem Asphalt aufschlagen, das Zischen, als die Haare Feuer fingen. Sie sah, wie dieses Kind – und es war ihr bewusst, es war ein Kind – wie ein Feuerwerkskörper über den Teer schoss. Langsamer wurde, Funken sprühte …
    Und sie sah das Gesicht eines Mannes, Rookers Gesicht, wie er sich umwandte und den Hang hinunterlief. Wie seine Beine sich immer schneller bewegten. Wie er beinahe stürzte, als er den Hügel hinunter zu seinem Auto rannte.
    Carol Chamberlain wandte sich um und starrte das Telefon an. Sie dachte an den anonymen Telefonanruf vor zwanzig Minuten. Die einfache Mitteilung eines Mannes, der unmöglich Gordon Rooker sein konnte.
    »Ich habe sie angezündet …«

Erstes Kapitel
    Der Zug stand irgendwo zwischen Golders Green und Hampstead, als die Frau in den Wagen kam.
    Kurz nach sieben, Montagabend. Die Fahrgäste die typische Mischung Londoner, die abends nach Hause fahren oder ins West End, um sich einen schönen Abend zu machen. Anzüge und Evening Standards oder eselsohrige Thriller. Die ganze Bandbreite menschlichen Lebens, von nachgemachten Fußballtrikots über Secondhandchic und Freizeitmode von Ciro Citterio. Köpfe, die gegen die Fenster schlugen und im Schlaf schwankten. Oder im Rhythmus zu Coldplay oder Craig David oder DJ Shadow nickten.
    Grundlos, und wohl nur, weil er auf der Northern Line fuhr, ruckte der Zug unvermittelt vorwärts, um ein paar Sekunden später wieder zum Stehen zu kommen. Die Fahrgäste betrachteten die Füße ihres Gegenübers oder lasen die Anzeigen über deren Köpfen. Abgesehen von den dünnen, blechernen Bässen, die aus den Kopfhörern drangen, war nichts zu hören, was den Stillstand noch stärker betonte.
    Am Ende des Waggons saßen zwei schwarze Jungen nebeneinander. Der eine sah aus wie fünfzehn oder sechzehn, war aber wahrscheinlich jünger. Er trug eine rote Bandana, einen übergroßen American-Football-Sweater, Baggy-Jeans und eine Unmenge Ringe und Halsbänder. Neben ihm saß ein um einiges jüngeres Kerlchen, vielleicht sein jüngerer Bruder, nicht viel anders gekleidet.
    Der Mann ihnen gegenüber fand die Klamotten, den Schmuck, den ganzen Auftritt lächerlich. Ein Kind, das mit seinen sündteuren Turnschuhen noch nicht mal den Boden berührte. Der Mann war untersetzt, Anfang vierzig und trug eine abgewetzte braune Lederjacke. Er wich dem Blick des älteren Jungen aus, als dieser ihn dabei ertappte, wie er die beiden musterte. Dabei fuhr er sich mit der Hand durch die Haare, die auf einer Seite grauer waren als auf der anderen. Für Tom Thorne hatte es ganz den Anschein, als hätten die beiden Jungen ihr gesamtes Geld in einem Laden namens »Der kleine Gangsta« auf den Kopf gehauen.
    Binnen ein, zwei Sekunden, nachdem die Frau durch die Tür gekommen war, veränderte sich die Atmosphäre im Wagen. Von gelockerter Krawatte zu vollkommen hochgeschlossen. Englisch, extrem englisch …
    Thorne sah sie gerade lange genug an, um das Kopftuch und die dichten, dunklen Augenbrauen zu registrieren und das Baby, das sie im Arm trug. Dann sah er weg. Nicht dass er sich hinter einer Zeitung versteckte wie so viele im Wagen. Allerdings musste er sich beschämt eingestehen, dass das nur daran lag, dass er keine bei sich hatte.
    Thorne starrte auf seine Schuhe, konnte aber nicht umhin, die Hand zu bemerken, die ihm entgegengestreckt wurde, als die Frau vor ihm stand. Er sah die Styroportasse, deren Rand angepickt war, vielleicht war er auch angeknabbert. Die Frau sprach leise auf ihn ein, in einer Sprache, die er nicht verstand und die er nicht zu verstehen brauchte.
    Sic schüttelte die Tasse vor seinem Gesicht, und Thorne hörte nichts scheppern.
    Es gehörte zur Routine: Tasse ausstrecken, Frage stellen, ignoriert werden und weiter zum Nächsten. Thorne sah ihr nach, wie sie durch den Wagen ging. Angesichts der geraden Linie ihres Rückens unter der dunklen Strickjacke, ihres ruhigen Arms, in dem sie ihr Baby hielt, spürte er ein Unwohlsein im Bauch. Er wandte sich ab, als das Unwohlsein sich in tiefes Mitgefühl für sie verwandelte, und für sich.
    Er wandte sich wieder um und
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