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Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Titel: Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Autoren: Patricia Highsmith
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rückenden Inseln. In die weiche Dunkelheit der Juninacht über ihm zeichnete seine Phantasie die kleinen Inseln, die Hügel von Athen, gepünktelt von Gebäuden, und die Akropolis.
    Da war auch eine ältliche Engländerin an Bord, sie reiste mit ihrer Tochter, die ihrerseits bereits vierzig war, unverheiratet und so grenzenlos nervös, daß sie keine Viertelstunde lang in ihrem Liegestuhl die Sonne genießen konnte, ohne aufzuspringen und mit lauter Stimme zu verkünden, sie »ginge ein bißchen spazieren«. Ihre Mutter war im Gegensatz dazu extrem ruhig und langsam - sie hatte irgendeine Lähmung im rechten Bein, das auch kürzer war als das andere, so daß sie am rechten Schuh einen dicken Absatz tragen mußte und nicht ohne Stock gehen konnte -, die Sorte von Mensch, die Tom in New York zum Irrsinn getrieben hätte mit ihrer Langsamkeit und ihrem unwandelbar gütigen Gehaben, jetzt aber trieb es Tom, stundenlang im Liegestuhl bei ihr zu sitzen, sich mit ihr zu unterhalten und ihr zuzuhören, wenn sie von ihrem Leben in England erzählte und von Griechenland im Jahre 1926, als sie zum letztenmal dort war. Er machte mit ihr kleine Spaziergänge auf Deck, dabei stützte sie sich auf seinen Arm und entschuldigte sich unaufhörlich für die Mühe, die sie ihm machte, aber es war ganz offensichtlich, daß ihr seine Aufmerksamkeit guttat. Und ganz offensichtlich war die Tochter entzückt, daß jemand ihr die Mutter abnahm.
    Vielleicht war Mrs. Cartwright in ihrer Jugend ein Satan gewesen, dachte Tom, vielleicht war sie verantwortlich für jede der Neurosen ihrer Tochter, vielleicht hatte sie die Tochter so fest an sich gekettet, daß es dem Mädchen unmöglich war, ein normales Leben zu führen und zu heiraten, und vielleicht verdiente sie es, mit einem Fußtritt über Bord befördert zu werden, anstatt daß man sie auf dem Deck spazierenführte und ihr stundenlang zuhörte, wenn sie erzählte, aber was machte das schon? Gab die Welt denn jedem nur, was er verdiente? Hatte die Welt ihm gegeben, was er verdiente? Er fand, daß er ganz unbegreifliches Glück gehabt hatte, als er der Aufdeckung zweier Morde entgangen war, unbegreifliches Glück von dem Tage an, da er Dickies Identität annahm, bis jetzt. Während seines ersten Lebensabschnittes war das Schicksal schreiend ungerecht mit ihm umgegangen, dachte er, doch die Periode mit Dickie und danach hatte das mehr als wettgemacht. Jetzt in Griechenland allerdings würde irgend etwas geschehen, das spürte er, und es konnte nichts Gutes sein. Sein Glück hatte schon zu lange gewährt. Angenommen, sie bekämen ihn mit den Fingerabdrücken und mit dem Testament, angenommen, sie gäben ihm den elektrischen Stuhl - konnte dieser Tod im elektrischen Stuhl, konnte der Tod überhaupt, im Alter von fünfundzwanzig Jahren, so schmerzlich sein, daß er nicht doch sagen könnte, die Monate von November bis jetzt wären es wert gewesen? Gewiß nicht.
    Das einzige, was er bedauerte, war, daß er noch nicht die ganze Welt gesehen hatte. Er hätte gern Australien gesehen. Und Indien. Japan wollte er sehen. Und dann war da ja auch noch Südamerika. Sich nur die Kunstschätze dieser Länder anzuschauen, das wäre allein eine schöne, lohnende Lebensaufgabe, dachte er. Er hatte eine Menge gelernt über Malerei, sogar durch seine Versuche, Dickies mittelmäßige Arbeiten zu kopieren. In den Kunstgalerien von Paris und Rom hatte er ein Interesse für Malerei entdeckt, das er nie zuvor an sich bemerkt hatte oder das zuvor nicht in ihm gewesen war. Er hatte nicht den Wunsch, selber ein Maler zu sein, aber wenn er Geld hätte, dachte er, dann wäre es seine größte Freude, Gemälde, die ihm gefielen, zu sammeln und jungen, talentierten Malern, die Geld brauchten, zu helfen.
    Auf solchen Bahnen bewegte sich sein Geist, wenn er mit Mrs. Cartwright um das Deck spazierte oder ihren Monologen lauschte, die nicht immer interessant waren. Mrs. Cartwright fand ihn reizend. Mehrmals sagte sie ihm, schon Tage vor ihrer Ankunft in Griechenland, wie sehr er dazu beigetragen habe, ihr die Reise angenehm zu gestalten, und sie schmiedeten Pläne, daß sie sich am zweiten Juli in einem bestimmten Hotel auf Kreta treffen würden, denn Kreta war der einzige Punkt, an dem ihre Routen sich kreuzten. Mrs. Cartwright wollte mit einer Reisegesellschaft im Autobus fahren. Tom willigte in all ihre Vorschläge ein, aber er war davon überzeugt, daß er sie nie wiedersehen würde, wenn sie erst einmal vom Schiff gegangen
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