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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Autoren: Henry Fielding
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einigermaßen durch etwas ersetzt, welches gewöhnlich von solchen Damen, deren Urteil mit den Jahren zur völligen Reife gediehen ist, noch höher geschätzt wird; denn sie hatte ihr ein ungemeines Maß von Verstand geschenkt. Diese Bescherung hatte Hannchen um ein Großes durch Gelahrtheit erhöhet. Sie hatte verschiedene Jahre als Magd bei einem Schulmeister gedient, der, weil er an dem Mädchen eine große Lebhaftigkeit des Geistes und eine außerordentliche Lernbegierde entdeckt, (denn jede müßige Stunde fand man sie in den Schulbüchern lesen), die Gutheit oder Narrheit, wie es der Leser belieben will zu nennen, gehabt hatte, ihr insoweit Unterricht zu geben, daß sie eine ziemliche Fertigkeit in der lateinischen Sprache gewann, und vielleicht ebenso gelehrt war, als die meisten jungen Herrn vom Adel unserer Zeit. Dieser Vorzug war aber, wie fast alle von einer außerordentlichen Gattung, von einigen kleinen Unbequemlichkeiten begleitet. Denn, wie es nicht zu verwundern ist, daß ein so gelehrtes junges Frauenzimmer wenig Gefallen an der Gesellschaft solcher Personen finde, welche das Glück ihr zwar gleich, die Erziehung aber so weit unter sie herabgesetzt hat: so darf es auf der andern Seite auch eben nicht sehr befremden, daß dieser Vorzug an Hannchen, zusammengenommen mit dem Betragen, welches seine gewisse Folge ist, bei andern eine Art von Neid und Mißgunst erweckte; und diese hatten vielleicht [26] schon in den Busen ihrer Nachbarinnen die ganze Zeit über heimlich gelodert, da sie aus dem Dienste gegangen war.
    Ihr Neid brach indessen nicht eher öffentlich aus, bis das arme Hannchen, zu jedermanns Erstaunen und zum Aerger aller jungen Weibsbilder dieser Gegend, an einem Sonntage öffentlich in einem seidenen Kleide, einem spitzen Kopfzeuge und andern dazu paßlichen Sachen Parade machte.
    Die Flamme, welche vorher nur unter der Asche geglimmt hatte, brach nun aus; Hannchen hatte durch ihre Gelehrsamkeit ihre Eitelkeit vergrößert, und doch war keine von ihren Nachbarinnen so gütig, ihr die Ehrerweisung zur Nahrung zu bringen, die sie zu verlangen schien; und nun gewann sie durch ihr Staatmachen anstatt Respekt und Verehrung nichts anders als Haß und Mißhandlung. Das ganze Kirchspiel war der festen Meinung, solche Dinge könnte sie mit Ehren nicht haben; und Eltern, anstatt ihren Töchtern eben solche Sachen zu wünschen, wünschten sich selbst Glück, daß ihre Kinder so etwas nicht hätten.
    Daher kam es vielleicht, daß die gute Frau den Namen des armen Mädchens der Jungfer Wilkins gleich zuerst nannte; es zeigte sich aber auch noch ein anderer Umstand, der die letzte in ihrem Argwohn bestärkte, denn Hannchen war seit kurzem sehr oft auf Junker Alwerths Hofe gewesen. Sie hatte dem Fräulein Brittjen in einer Unpäßlichkeit als Krankenwärterin gedient und hatte manche Nacht bei und mit ihr gewacht; und überdem noch hatte sie Jungfer Wilkins selbst noch genau am Tage der Heimkunft des Herrn Alwerth dort gesehen; obgleich diese scharfsichtige Haushälterin, was diesen Punkt anbelangte, anfangs gar keinen Verdacht auf sie gehabt hatte. »Denn,« wie sie selbst sagte, »sie hätte die Hanna beständig für 'n sehr eingezogenes Mädchen gehalten (ob sie gleich im Grunde wenig mit ihr zu schaffen gehabt hätte), und wäre mit ihr'm Verdachte viel eher auf eine von den andern Bankmagdalenen verfallen, die sich ich weiß nicht was dünken, weil sie sich, ei seht mir doch! für schön halten.«
    Hannchen ward nun vorgefordert, vor der Jungfer Deborah coram zu erscheinen, welcher Einladung sie denn augenblicklich gehorsamte. Jungfer Deborah setzte sich denn da in die feierliche Ernsthaftigkeit eines Richters und begann mit etwas mehr als gewöhnlicher Richterstrenge ihre Anrede mit folgenden Worten: »Ihr verwegenes Mensch«, womit sie denn viel eher ein Urteil über den Gefangenen zu sprechen, als seine Anklage vorzubringen schien.
    Obgleich Jungfer Deborah, aus den Ursachen, die der Leser bereits oben gesehen hat, von dem Verbrechen der armen Hannah [27] hinlänglich überzeugt war, so war's doch möglich, daß Herr Alwerth zu ihrer Ueberführung triftigere Beweise für nötig erachtet haben möchte; aber Hannchen ersparte ihren Anklägern alle dergleichen Mühe dadurch, daß sie die That, deren sie angeklagt ward, ganz freiwillig bekannte.
    Dies Bekenntnis, obgleich es allem menschlichen Anscheine nach mit Ausdrücken der Reue gethan wurde, erweichte doch die Jungfer Wilkins nicht im geringsten;
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