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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Autoren: Henry Fielding
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beide von eben und demselben Tier, sei es Ochse oder Kalb oder Sau, ihre Mahlzeit halten, wenn er nicht in der Art und Weise zu kochen, zu braten, spicken, würzen und anzurichten liegt? Daher denn das eine die erschlaffteste Eßlust reizt und kitzelt, und das andere dem stärksten Heißhunger die Lust verleidet. Auf eben die Weise besteht die Vortrefflichkeit einer Geistesmahlzeit weniger in der Materie der Speise, als in der Geschick lichkeit des Autors, solche hübsch zu- und anzurichten. Welch ein Vergnügen wird es also dem Leser machen, wenn er findet, daß wir in dem folgenden Werke uns ganz genau an einen der höchsten Grundsätze eines der besten Köche dieses Jahrhunderts, oder vielleicht gar des Jahrhunderts, worin Heliogabal die Kochkunst schützte, gehalten haben. Dieser große Mann, wie allen feinen Eßliebhabern bekannt ist, beginnt damit, daß er seinen hungrigen Gästen ganz einfache Speisen vorsetzt; hernach stufenweise steigt; so, wie nach und nach ihr Appetit, nach seiner Meinung, sinken muß, bis er sich zur feinsten Quintessenz von Würz und Brühen hinaufschwingt. Auf eben die Weise werden wir dem scharfen Appetite unserer Leser anfangs menschliche Natur der einfachen Art vorsetzen, wie solche auf dem Lande gefunden wird; und nachher wollen wir solche haschieren und ragoutieren mit alle dem heißen
Französischen
und
Italienischen
Gewürz von Lastern und Thorheiten, welche Höfe und Städte uns liefern. Vermöge dieses Kunstgriffes soll, wie wir nicht zweifeln, unser Leser Lust bekommen, ohne aufhören fortzulesen, so, wie der eben vorhin genannte große Mann viele Personen soll haben essen lassen. Nachdem wir so weit unsern Behuf vorgebracht, wollen Wir denjenigen, denen unser Küchenzettel behagt, nicht länger ihren Genuß vorenthalten, sondern wollen ohne weiteres Verweilen den ersten Gang unserer Geschichte aufsetzen.
Fußnoten
    1 S. die Note in Sterne, Empfindsame Reise, Band 4.
     

[14] Zweites Kapitel.
    Eine kurze Beschreibung des Junkers Alwerth und eine längere Nachricht von Fräulein Brigitta, Alwerths Schwester.
     
    In der Landschaft, welche in dem westlichen Teile von England liegt und gewöhnlich Sommersetshire genannt wird, lebte ehedem ein Landedelmann (und lebt vielleicht noch), dessen Name Alwerth hieß, und den man gar füglich einen Liebling beides, der Natur und des Glücks, nennen konnte; denn beide schienen um die Wette gestritten zu haben, wer ihn am meisten begünstigen und bereichern sollte. In diesem Streite mag, nach einiger Bedünken, die Natur gesiegt haben, weil sie ihn mit mancherlei Gaben beschenkte; derweile das Glück nur eine einzige besaß, in Bescherung dieser aber so freigebig war, daß andere vielleicht denken mögen, diese einzige Gabe sei mehr als hinreichend gewesen, allen Spenden, die er von der Natur empfangen hatte, Gleichgewicht zu halten. Von der Natur erhielt er eine angenehme Figur und Gestalt, ein dauerhafte Gesundheit, einen gründlichen Verstand und ein wohlthätiges Herz; von dem Glück erhielt er die Erbschaft eines der größesten Landgüter. Dieser Edelmann hatte in seiner Jugend ein würdiges und schönes Frauenzimmer geheiratet, die er sehr zärtlich geliebt hatte. Mit ihr hatte er drei Kinder, welche alle sehr jung starben; er hatte auch das Unglück erlebt, selbst diese seine geliebte Gattin zu begraben, ungefähr fünf Jahre vorher, als diese Geschichte ihren Anfang zu nehmen beliebt. Diesen Verlust, so groß er auch war ertrug er wie ein verständiger, gesetzter Mann, ob man gleich nicht ableugnen kann, daß er oft ein wenig sonderbar über diesen Punkt sprach; denn zuweilen sagte er: er hielte sich noch beständig für verheiratet und dächte, seine Frau habe nur ein wenig früher als er eine Reise angetreten, auf welcher er ihr ganz gewiß früher oder später folgen werde; er hege nicht den geringsten Zweifel, sie an einem Orte wieder anzutreffen, wo er sich nie wieder von ihr trennen würde. Wegen dergleichen Aeußerungen hatte ein Teil seiner Nachbaren seinen Verstand, ein zweiter seine Religion und ein dritter seine Aufrichtigkeit im Verdacht.
    Jetzt lebte er die meiste Zeit auf dem Lande mit einer Schwester, für die er zärtlichste Bruderliebe hatte. Dies Fräulein war schon etwas über die dreißig hinaus; ein Alter, in welchem man nach der Meinung gewisser hämischer Leute den Titel:
alte Jungfer
mit aller Schicklichkeit führen kann. Sie war von derjenigen Gattung Frauenzimmer, an welchen man eher die guten
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