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Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)

Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)

Titel: Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
Autoren: A. G. Stoll
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Häuser um ihn herum. Die Fensterscheiben, die noch nicht durch Karton ersetzt waren, verklebte eine dicke Dreckschicht und der Müll, der sich an der Hauswand auftürmte, lag nicht erst seit gestern da. Morsches Mauerwerk bröckelte von der Fassade und landete Blutspritzern gleich auf den zerbrochenen Bürgersteigplatten.
    Drinnen sah es kaum besser aus. Ein Boden, dessen Ursprungsfarbe unter all dem Schmutz nur zu erahnen war, staubige Regale und ein aufgedunsener Mann, der nach Schweiß stank, begrüßten sie.
    Ihre Frage nach Gustav beantwortete er mit einem unfreundlichen Grunzen. Kate ergriff bereits den Türknauf, um von diesem abschreckenden Ort zu fliehen, da fiel ihr Blick auf einen Salbentiegel vor ihr. Das Etikett trug Gustavs Handschrift. Endlich eine Spur. Sie zeigte darauf und verlangte, mit dem Herrn zu sprechen, der dies beschriftet habe. Der Verkäufer rülpste, fuhr sich mit den Wurstfingern durch die verklebten Haare und knurrte: »Bin ich die Heilsarme? Auskunft kostet.«
    Sie drückte ihm ein Geldstück in die Hand und wartete.
    »Beim Arzt. Ständig krank, der verdammte Teutone.«
    Kate fühlte einen Mühlstein von sich abfallen. Gustav arbeitete hier, und sie konnte ihm eine Nachricht hinterlassen. Zum Glück trug sie Notizbuch und Stift bei sich. Dieser unfreundliche Kerl hätte ihr vermutlich ohne weitere Bezahlung keinerlei Hilfe gewährt.
    »Geehrter Onkel, bin Euch nachgereist und möchte Euch ein lukratives Geschäft vorschlagen. Wohne im Hotel Barton, Euer Neffe Harold«, kritzelte sie auf ein herausgerissenes Blatt. Sie hielt den Inhalt absichtlich so vage, um einem heimlichen Mitleser keine unnötigen Informationen zu geben.
    Sicher, dass Gustav sie anhand der Schrift identifizierte, legte sie den Zettel mit einer weiteren Münze auf den Verkaufstresen und bat den Verkäufer, ihn zu übergeben. Der Mann griff eilig nach dem Geldstück und ließ es in die Kitteltasche verschwinden.
    Zum Glück musste sie sich nicht auf seine zweifelhafte Hilfe verlassen, denn draußen vor der Tür rannte sie beinahe in Gustav hinein.
    Sie erkannte ihn sofort, doch er blinzelte sie an, als könnte er sie nicht einordnen. Dann färbten sich seine aschfahlen Wangen und er schnaubte: »Du?«
    Kate nickte.
    »Was willst du?«, herrschte er sie an.
    Sie schluckte. Dass er von ihrer Gegenwart entzückt sein würde, hatte sie nicht erwartet, aber so erbost, wie er reagierte, würde das Gespräch schwierig werden. Wie bei der letzten Begegnung mit ihm waren ihr all die versöhnlichen Worte entfallen, die sie sich für diese Unterhaltung wieder und wieder vorgesagte hatte.
    Ein wenig planlos platzte sie heraus: »Ich konnte nicht länger bei meiner Familie leben, bin weggelaufen. Sie und ich, wir sind zu verschieden. Deshalb brauche ich Euch. Als meinen Onkel. Ich habe Geld dabei. Genug für uns beide.«
    Er ballte die Hand zur Faust, als wollte er sie schlagen. Sie wich zurück. Erst jetzt erkannte sie, wie abgerissen er aussah. Der alte Gustav hatte Wert darauf gelegt, stets makellos gekleidet zu sein. Nun waren seine Schuhe zerkratzt und ungeputzt, sein Mantel fleckig und sein vergilbter Hemdkragen ungestärkt. Der schäbige Hut sah aus, als hätte er sich auf ihn gesetzt. Hinzu kam das verkniffene Gesicht mit einem ungesunden, beinahe gelblichen Hautton. Schlecht ging es ihm.
    »Ich hätte dich sterben lassen sollen!«, fauchte er. »Du hast mich mein altes Leben gekostet. Verschwinde, bevor du mich ein weiteres Mal ins Unglück stürzt.«
    Seine Verbitterung schmerzte mehr als eine Ohrfeige oder ein Fausthieb.
    Kate zwang sich dennoch, seinen Blick zu erwidern und sagte: »Lasst uns reden. Ihr und ich, wir können einander helfen.«
    Er winkte verächtlich ab, doch sie setzte hinzu: »Dafür brauchen wir keine Freunde zu sein. Eher Geschäftspartner.«
    Er knurrte: »Dummes Kind, glaubst du wirklich, du kannst dein Leben wählen? Deine hochwohlgeborene Familie wird dich finden und zurückholen.«
    Kate zuckte die Schultern. Zumindest ein kleiner Erfolg, denn nun ging das Gespräch in eine bessere Richtung.
    »In einer Stadt wie dieser wird mich nie jemand aufspüren. Selbst wenn sie es versuchen sollten.«
    Sie zupfte sich nervös an der Nase. Gustavs strenger Blick brachte sie dazu, schnell damit aufzuhören.
    »Es ist nicht so, dass sie mir nachtrauern«, gab sie zu. »Ich passe nicht zu ihnen. Die sind bestimmt froh, weil ich sie nicht mehr blamiere.«
    Wahrscheinlich verhielt es sich tatsächlich so.
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