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Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)

Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Mischke
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Werkzeuge: Säge, Hammer, eine Bohrmaschine. In einer Ecke lehnten ein Spaten, eine Spitzhacke und ein Rechen. Nichts Außergewöhnliches, bis auf ein metallenes Gestell, das er erst nach ein paar Sekunden als Infusionsständer identifizierte. Er wandte sich ab, trat ans Fenster. Der Dunst war verflogen, der Himmel tiefblau, doch im Westen baute sich gerade ein Wolkengebirge auf. Eine Möwe stolzierte über den Bootssteg. Warum war der Tod des Kindes nicht bekannt geworden? Oder war es möglich, dass durch irgendeinen Fehler bei den Behörden ein Kindstod nicht aktenkundig wurde?
    Er hörte Selma die Stufen heraufkommen und die Falltür schließen. Sie trat neben ihn ans Fenster und hauchte gegen ihre Hände. Er legte den Arm um sie und rieb ihre Schultern warm.
    »Ihre Stimme«, sagte Leander. »Du hast sie doch auch gehört. Welche Farbe hatte sie?«
    »Blau«, sagte Selma. »So wie das Meer heute.«
    »Vielleicht hat sie es ins Meer geworfen«, sagte Leander.
    »Das eigene Kind?«
    Leander wusste, was sie meinte. Die Vorstellung, wie der Körper von Möwen angefressen wird oder von Fischen. Oder irgendwo als Kadaver anlandet. Nein.
    »Vielleicht hat sie es umgebracht? Weil es krank war«, sagte er. Es umgebracht und sich ein gesundes Kind genommen, seines.
    »Egal, was passiert ist. Sein totes Kind wirft man nicht ins Meer, und man legt es auch nicht in den Keller. Das beerdigt man«, sagte Selma.
    Das beerdigt man . Wie will man etwas beerdigen, wenn der Grund nur aus Fels besteht?
    Ihre Blicke trafen sich.
    »Der Garten«, sagte Selma und zog ihn an der Hand hinaus. Sie kämpften sich durch das dürre Gras, das ihnen bis zu den Hüften reichte. Hinter einem verkrüppelten, windgebeugten Baum lag ein Haufen Steine. Auf den ersten Blick sah es aus, als wären es Überreste vom Bau der Trockenmauer, aber das Gegenteil war der Fall: An einem Ende der Mauer fehlten Steine. Jemand hatte die Brocken aus der Mauer gelöst und sie hier wieder sorgfältig und auf einer Länge von einem Meter dachförmig aufgehäuft.
    Wortlos begannen sie, die Steine beiseitezuschaffen. Sandiger Boden kam zum Vorschein.
    »Ich hol den Spaten«, sagte Leander.
    »Lass mich«, sagte Selma, als er mit dem Spaten und der Spitzhacke zurückkam.
    Er schüttelte den Kopf und stieß das Blatt in den harten Boden.
    »Leander!«, sagte Selma. »Das ist mein Job. Und was immer da liegt – es ist nicht Lucie! Lucie ist am Leben und man wird sie bald finden.«
    Er hielt inne.
    »Das weiß ich doch«, sagte er. Sein Beschützerinstinkt gewann die Oberhand. Sie hatte ja schließlich selbst zugegeben, dass ihr solche Dinge aufs Gemüt und auf den Magen schlugen. »Bitte, lass mich das machen! Ich erzähl’s keinem.«
    »Okay«, sagte Selma. Sie setzte sich auf die Mauer und drehte sich eine Zigarette.
    Die Schicht aus Erde und Sand war nicht einmal einen halben Meter dick. Schon nach ein paar vorsichtigen Spatenstichen wurde der erste Knochen sichtbar. Er war braun. Sah aus, wie von einem Unterarm. Sorgfältig legte Leander die skelettierte Kinderleiche frei. An einigen Stellen war noch etwas übrig, das wie verschrumpeltes Leder aussah. Dazwischen kam Stoff zum Vorschein, der einstmals weiß gewesen sein musste. Leander fiel eine alte Kantinengeschichte ein: Jemand hatte von seinem Urlaub auf Lesbos erzählt und dass man dort die Angehörigen nur für drei oder vier Jahre beerdigte. Danach grub die Familie sie wieder aus, traf sich auf dem Friedhof zum »Knochenputzen«, und anschließend kamen die gesäuberten Gebeine in eine Kiste und die in eine Art Lagerhaus neben dem Friedhof. Der Kollege hatte sogar Fotos von den Regalen mit den beschrifteten Kisten gemacht und herumgezeigt. Damals hatte Leander das makaber und eklig gefunden, aber seltsamerweise empfand er jetzt keinen Ekel bei der Tätigkeit, das tote Kind der Frau auszugraben, die ihm seines weggenommen hatte. Ihr Geheimnis ans Licht zu bringen. Er stellte sich mit grimmiger Befriedigung ihren Schrecken vor, wenn sie davon hörte oder las.
    Der Schädel wurde sichtbar. Kleine, braune Zähne steckten im Oberkiefer. Kein Haar. Haare verwesen doch auch recht langsam, dachte Leander. Aber da waren keine.
    »Es reicht.« Selma legte ihm ihre kühle Hand zwischen die Schulterblätter. Leander richtete sich auf. Er wusste nicht, wie lange sie schon da gestanden und ihn beobachtet hatte.
    »Komm, wir fahren zurück«, sagte sie.

Marie war vier Monate vor ihrem zweiten Geburtstag in einer eisigen
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