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Töte, Bajazzo

Töte, Bajazzo

Titel: Töte, Bajazzo
Autoren: Jason Dark
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offenen Mund holte Mirella Luft. »Soll das heißen, daß Sie auf den Friedhof wollen?«
    »Nicht nur ich. Auch Sie.«
    »Und zum Grab gehen?«
    »Richtig.«
    Mirella schlug die Hände zusammen. »Aber was versprechen Sie sich davon? Es ist eine unheimliche Gegend. Die Gräber, all die Toten, die in ihnen liegen.«
    »Sie werden Ihnen nichts tun, glauben Sie mir. Die Lebenden sind schlimm, nicht die Toten.«
    Die Frau hob die Schultern. Begeistert war sie nicht. Dafür hatte ich Verständnis, aber ich wollte den Killer oder den Geist des Killers aus der Reserve locken. »Meinen Sie denn, John, daß er zu uns kommen würde?«
    »Davon bin ich überzeugt. Sie dürfen nicht vergessen, daß er so handeln wird wie der Canio in der Oper. Er will Sie also töten, und er wird mich töten wollen, weil ich bei Ihnen bin und er vielleicht denkt, daß wir ein Verhältnis miteinander haben. Er wird also versuchen, zweimal zu morden. Dabei packen wir ihn.«
    »Himmel«, flüsterte Mirella, »wie Sie das sagen! Das klingt alles so selbstverständlich.«
    »Ist es das denn nicht?«
    »Nein, nicht für mich.«
    »Das ist klar. Versuchen Sie jedoch, sich daran zu gewöhnen. Nehmen Sie das Außergewöhnliche als normal hin. Nur so kommen Sie gut über die Runden.«
    »Kann sein, John. Komisch, ich habe jetzt noch mehr Vertrauen zu Ihnen. Aber trauen Sie sich denn zu, mit einem Geist fertig zu werden. Schaffen Sie das?«
    »Ich muß es.«
    »Sicher sind Sie nicht?«
    »Nein.«
    »Dann könnten wir beide sterben?«
    »Das wäre auch möglich.«
    Die Sängerin wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie war gefordert, das alles zu verkraften, was in der letzten Zeit auf sie eingestürmt war. Und das war verdammt nicht wenig gewesen. Sollte alles glimpflich ablaufen, würden der Schock und der Nervenzusammenbruch sicherlich kommen.
    Ich stand auf und nickte ihr zu. »Es wäre besser, wenn wir jetzt gehen.«
    »Ja, wie Sie meinen.« Auch Mirella erhob sich. Sie schwankte dabei und wischte über ihre Stirn. Obwohl sie noch ihren Mantel trug, fror sie.
    Scheu schaute sie sich um, und wieder traf ihr Blick den Tisch mit der Leiche. Da kochten sofort die Erinnerungen hoch, sie fing wieder an zu weinen, hielt sich aber tapfer an meiner Seite. Nur neben dem Tisch blieb sie stehen, streckte die rechte Hand aus und streichelte mit einer sanften, abschiednehmenden Bewegung die Wange des Toten.
    Ich war auf die Tür zugegangen und wollte sie öffnen, als meine Hand in der Bewegung erstarrte.
    Auf einmal war die Stimme da. Sie sagte nichts, sie lachte nur. Oder weinte sie?
    Keiner von uns wußte es. Wahrscheinlich war es ein Mittelding aus Weinen und Lachen wie bei der Bühnengestalt des Bajazzo, denn auch er hatte sich nicht entscheiden können.
    Eines aber stand fest.
    Er war da!
    ***
    In den seltsamen Laut hinein erklang der dünne Schrei der Sängerin, denn auch sie war von diesem Geräusch geschockt worden. Als ich mich umdrehte, stand sie wie eine Figur neben dem Tisch und lauschte dem Mittelding zwischen Lachen und Weinen. Aber wo steckte er?
    Ich hatte mehr den Eindruck, als hielte er sich noch oben auf, deshalb ging ich auch mit leisen Schritten auf die Treppe zu, um ihn nur nicht zu stören.
    Das Geräusch verstummte.
    Dafür holte Mirella tief Atem.
    Ich verhielt meinen Schritt, wartete ab, und dann kam es, wie es kommen mußte.
    Die jammernde Stimme sang die Arie des Canio. Sie ließ das Rezitativ weg und kam direkt zur Sache. Nicht wie im Original, sondern ein Wort ausgewechselt.
    »Töte, Bajazzo!«
    Es war eine Botschaft für uns, eine gesungene Morddrohung für uns, die ich verdammt gut begriff. Es hieß im Klartext, daß für ihn die Mordserie nicht beendet war.
    Wir lauschten beide. Es war einfach unheimlich, es war schaurig, und es mochte zum großen Teil an der Umgebung liegen, in der wir uns befanden, auch an der Nähe des Toten.
    Der Gesang verstummte mit einem letzten qualvollen Jammern. Die Stille kehrte zurück. Sie wurde durch nichts unterbrochen. Nicht das geringste Geräusch drang vom Ende der Treppe her bis an unsere Ohren. Der Killer zog sich lautlos zurück, und er zeigte uns auch nicht seine Totenmaske.
    Ich bewegte mich auf Mirella zu, weil ich sah, wie stark sie plötzlich zitterte.
    Sie stand kurz vor dem Zusammenbruch, und ich eilte zu ihr, um sie aufzufangen.
    »Mein Gott, Sie haben recht, John. Er ist hier. Er hält uns unter Kontrolle.« Sie lag etwas schräg in meinem Arm und schaute zu mir hoch. Ich
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