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Töte, Bajazzo

Töte, Bajazzo

Titel: Töte, Bajazzo
Autoren: Jason Dark
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Er versuchte wieder einmal, mich umzustimmen. Ich sagte nein, er versuchte es wieder, ich lachte ihn aus und stieß ihn praktisch weg. Er hat es hingenommen, aber er sagte mir Worte zum Abschied, die schon damals bei mir eine Gänsehaut hinterließen.«
    »Welche?«
    »Denk an Canio. Denk an den Text, cara mia. Töte, Bajazzo!«
    »Das hat er wörtlich gesagt?«
    »Ich habe es nicht vergessen!« flüsterte Mirella und drehte ihre Finger ineinander. »Wie hätte ich diese Worte auch je vergessen können? Ich war damals froh, aus Maiori wegzukommen. Es glich fast einer Flucht, wie Sie sich vorstellen können.«
    »Haben Sie mit Ihren Eltern darüber gesprochen?«
    »Nein oder ja. Ich habe ihnen wohl erzählt, daß Franco in mich verliebt war, daß dieses Gefühl allerdings so tief gehen würde, das haben sie nie erfahren.«
    Ich nickte und sagte, nachdem ich meine Gedanken gesammelt hatte:
    »Es ist inzwischen eine Menge Zeit vergangen, und die Zeit heilt alle Wunden, sagt man.«
    »Nicht bei ihm, John.«
    »Woher wissen Sie das?«
    Sie schaute mit gerunzelter Stirn zu Boden. »Ich kam hin und wieder hierher, und ich erfuhr natürlich, was sich abgespielt hatte. Inzwischen weiß ich auch, welche Bedeutung die Maske oder das Gesicht hat. In der Oper ist es die Maske des Canio gewesen. Der Sänger wird so geschminkt. Sie muß einen so großen Eindruck auf Franco gemacht haben, daß er sie nicht nur nie vergessen hat, er hat sie sich auch nachmachen lassen, verstehen Sie, John?«
    »Nein.«
    »Er hat sich schon als junger Mensch eine Totenmaske machen lassen. Das ist die Wahrheit.«
    Wieder war ich überrascht. »Wie bitte?«
    Sie hob die Schultern. »Sich Totenmasken anfertigen zu lassen, entspricht einem alten Brauch hier, doch er hat es tatsächlich schon in jungen Jahren getan. Ich komme damit auch nicht zurecht, doch die Maske entsprach dem Bühnengesicht des Canio. Im Ort wußte man Bescheid, man akzeptierte es auch, denn man hielt ihn sowieso für leicht verrückt. Franco hat auch nie geheiratet, er hat allen erklärt, daß nur ich seine große Liebe gewesen bin und daß sie noch nicht ihr Ende gefunden hat. Ich hatte keinen Kontakt mit ihm, wenn ich hier zu Besuch war. Ich bin ihm auch bewußt aus dem Weg gegangen, weil ich mit mir selbst genug zu tun hatte, denn mit meiner Karriere ging es bergauf. Dann erfuhr ich durch einen Brief meines Vaters, ich sang zu dem Zeitpunkt in Madrid, daß Franco Romero Selbstmord begangen hatte. Ja, er hat sich umgebracht, und er gab in einem Abschiedsbrief mir die Schuld. Er tötete sich, weil ich ihn nicht erhört habe.«
    Sie legte eine Pause ein und wartete auf meine Antwort. »Was taten Sie daraufhin?«
    »Nichts. Ich sang an dem Abend die Amelia in der Oper Simone Boccanegra. Die Schau mußte weitergehen. Ob meine Stimme an diesem fraglichen Abend gut gewesen ist, weiß ich heute nicht, aber ich habe mir schon Vorwürfe gemacht, denn ich hätte zwischendurch bei meinen Besuchen mit ihm reden sollen. Es war zu spät, aber ich konnte nicht um ihn trauern, wie eine Ehefrau um ihren Mann getrauert hätte. Das war einfach nicht möglich. Ich habe ihn nicht vergessen, aber ich dachte auch nicht oft an ihn.«
    »Was geschah mit der Totenmaske?«
    »Sie blieb wohl in seinem Haus als Andenken, nehme ich an.«
    »Aber jetzt ist er wieder da.«
    »Es sieht so aus.«
    »Und die Maske ebenfalls.«
    Mirella nickte.
    »Dafür brauchen wir eine Erklärung.«
    Mein schlicht dahin gesprochener Satz ließ sie erschaudern. Sie hatte die Augenbrauen angehoben und starrte ins Leere. Ein Gänsehautschauer plagte sie. »Er ist ein Mörder, der aus dem Jenseits zurückkehrte, John. So etwas gibt es nicht. Sie haben mir gesagt, daß Sie Polizist sind. Ein Polizist ist Realist, er würde über derartige Dinge lachen, auch wenn sie subjektiv Tatsachen sind.«
    »Ich lache nicht darüber.«
    »Warum nicht? Alles wegen mir?«
    »Nein, aus meiner Sicht. Es hat keinen Sinn, Ihnen das zu erklären, Mirella, ich möchte nur, daß Sie mir vertrauen.«
    Sie lachte schrill. »Wem außer Ihnen sollte ich denn vertrauen, John?«
    »Danke für die Blumen. Wir beide müssen von nun an versuchen, realistisch zu bleiben. Wir werden also die unglaublichen Dinge als Realität annehmen. Wir werden uns ihnen stellen, aber ich möchte noch einmal etwas hinterfragen.«
    »Bitte.«
    »Sie kannten Franco Romero relativ gut. Hatte er eigentlich Kontakt zu schwarzmagischen Kräften gesucht? Zu Geistern, zu dem Bösen
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