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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel
Autoren: Tina Sabalat
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wanderte mit dem Handy am Ohr auf der Terrasse herum. Sein Hemd hing ihm halb aus der Hose, ein Schnürsenkel an den unvermeidlichen Turnschuhen war offen: Scheinbar hatte er sich in Windeseile angezogen, nachdem ich ihn aus dem Bett geworfen hatte.
    »Sie haben so getan, als hätten Sie Tobias noch nie gesehen«, sagte er. »Als wäre er für Sie ein völlig Fremder.«
    »Richtig.«
    »Ich war aber morgen mit Tobias verabredet, also hätten Sie ihn erkennen müssen. Wenn Sie das nicht konnten, können Sie auch nicht in die Zukunft schauen.«
    Ich seufzte. »Falsch. Denken Sie nach. Während Sie in meinen Pool springen und Ihren Freund da rausholen.«
    Ein weiches Geräusch: Sam wuschelte sich die Haare.
    »Scheiße. Ich brauch 'nen Kaffee.«
    Ich erspürte einen Anflug von Mitleid in meiner Brust. »Erst gehen Sie schwimmen, dann bekommen Sie einen Kaffee. Cappuccino? Espresso?«
    »Espresso. Zwei. Oder drei.«
    »Zucker?«
    »Nein.«
    »Handtuch?«
    Er seufzte. »Ja, bitte.«
     
    ***
     
    Als ich zehn Minuten später ein Handtuch und eine Tasse auf die Terrasse brachte, stand Sam neben dem Körper am Beckenrand. Tobias lag auf dem Bauch, ich bemerkte einen großen, hellroten Fleck auf dem weißen Stoff seines T-Shirts: Blut. Viel Blut. Mir wurde ein bisschen anders, daher lenkte ich meine Augen auf Sam, der insgesamt einen viel erfreulicheren Anblick bot: Er hatte sich bis auf eine karierte, jetzt klatschnasse Boxershorts ausgezogen und passte an den Pool, nur der Tote neben ihm störte in diesem sommerlichen Anzeigenmotiv für Heimschwimmbäder.
    »Erschossen. Vorher muss er übel verprügelt worden sein«, rief Sam, als er mich bemerkte, »Danke für die Auskunft«, gab ich zurück. »Aber die Nachbarn rechts haben Sie nicht genau verstehen können, Sie schreien viel zu leise.« Ich deutete auf den Tisch. »Ihr Kaffee. Und Ihr Handtuch.«
    Ich wandte mich zum Gehen, hörte schnelle Schritte hinter mir: Sam lief zu mir herüber, »Warten Sie doch! Bleiben Sie hier, wo wollen Sie denn hin?«
    »Rein. Ich warte, bis Sie weg sind. Sie und Tobias.«
    »Und dann?«
    »Lasse ich das Wasser aus dem Pool und neues rein. Und gehe schwimmen.«
    Sam umfasste meinen Oberarm und zog mich zu sich herum, ich schlug seine Hand weg, starrte auf seinen flachen Bauch. Kein schlechter Anblick, aber was hätte ich dafür gegeben, ihm wütend ins Gesicht funkeln zu können!
    »Nicht anfassen«, fauchte ich. »Niemals anfassen.«
    »Gott, Sie haben echt ein Problem!«
    Ich nickte. »Glückwunsch, Sie haben es erfasst. Haben Sie nur über mich nachgedacht, oder haben Sie auch eine Antwort auf Ihre Frage gefunden?«
    »Ich denke seit Tagen nur über Sie nach«, antwortete Sam, ich schnaubte ungläubig. »Und ich rufe jetzt die Polizei«, fügte er hinzu.
    »Nein, das tun Sie nicht.«
    »Tobias ist tot.«
    »Und die Polizei wird ihn nicht wieder lebendig machen.«
    »Er ist erschossen worden. Und Sie haben eine Pistole. Sie haben mich gestern damit bedroht.«
    Ich hielt inne, ehrlich verwundert. »Glauben Sie das wirklich? Dass ich diesen Mann erst geschlagen und dann erschossen habe? Und in meinem eigenen Pool versenkt?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Sam etwas kläglich, und ich wusste, dass ich ihn gerade ziemlich überforderte: Sein Freund lag tot neben meinem Pool, Sam zählte die Tage bis zu seinem eigenen Ableben. Keine günstigen Umstände für klares, logisches Denken.
    »Trockenen Sie sich ab und trinken Sie Ihren Kaffee. Ich komme gleich wieder.«
    Ich ging in die Küche, drückte mir einen Cappuccino aus der Maschine und lud in der Zeit zwei Videos auf mein iPad. Als ich mit meiner Tasse wieder auf die Terrasse kam, war Tobias Gesicht mit meinem Handtuch abgedeckt, Sam saß in einem Sessel und sah mich an. Ich kam bis knapp hinter seine ebenmäßigen, heute allerdings nicht besonders gründlich geputzten Zähne, bevor ich die Augen niederschlagen konnte – verdammt, ich musste aufmerksamer sein, wachsamer bleiben!
    »Drehen Sie den Stuhl um, setzen Sie sich mit dem Rücken zu mir«, forderte ich, nach einer kurzen Weile hörte ich das Ratschen der Stuhlbeine auf dem Boden.
    »Sie sehen also wirklich die Zukunft eines Menschen, wenn Sie ihn nur anschauen?«, fragte Sam, ich nickte, auch wenn er das jetzt nicht mehr sehen konnte, weil er die Aussicht auf Rasen, Pool und Tobias genoss.
    »Ja. Anschauen im Sinne von ins Gesicht sehen. Ihre Füße würden mir nichts verraten. Genau deswegen möchte ich hier keine Polizisten
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