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Tödliches Lachen

Tödliches Lachen

Titel: Tödliches Lachen
Autoren: Andreas Franz
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wollt es doch nicht anders!

Dienstag, 15. November 2005, 20.20 Uhr
    Er setzte sich vor den PC und schaltete ihn ein, wartete geduldig, bis er hochgefahren war, loggte sich in einen Chatroom ein, in dem er mindestens hundertmal in den letzten vier Monaten gewesen war, und beteiligte sich an einem Gespräch über die zunehmende Vereinsamung der Menschen. Insgesamt hielten sich siebzehn User im Chat auf, tauschten ihre Erfahrungen aus, doch kaum die Hälfte verstand es, in richtigem Deutsch zu schreiben, wie ihm überhaupt im Laufe der letzten Jahre aufgefallen war, dass es nur noch wenige gab, die ihre Muttersprache beherrschten. Es fing beim Sprechen an, wenn vornehmlich jüngere Leute sich in einer Sprache unterhielten, die er nicht verstand. Kanaken-deutsch nannte er es. Er hatte diesen Begriff aber auch schon von andern gehört. Und er hasste es, wenn ohne Punkt und Komma geschrieben wurde oder nur in Kleinbuchstaben, oder wenn Teilnehmer sich nicht an das Thema hielten, ganz gleich, worüber gerade diskutiert wurde.
    Aber es gab eine Teilnehmerin, die sehr klar und deutlich schrieb, die sich von den andern abhob. Er hatte schon öfter ihre Sitzungen und Kommentare verfolgt, genau genommen seit etwas über vier Monaten. Sie hielt sich mindestens dreimal pro Woche in diesem Chatroom auf, aber da wusste er längst, wer sich hinter ihrem virtuellen Namen verbarg. Er kannte ihren richtigen Namen, er wusste, wo sie wohnte, und er hatte sie’ auch schon einige Male gesehen, zweimal allein und dreimal in Begleitung. Das war eine ganze Weile, bevor er ihre Bewegungen im Internet verfolgte. Sie war ihm eigentlich sympathisch, auch wenn sie Eigenschaften besaß, die er nicht so schätzte.
    Bisher hatte er sich zurückgehalten, aber diesmal antwortete er auf einige ihrer Bemerkungen, und schon nach wenigen Minuten unterhielten sie sich fast nur noch mit sich selbst. Schließlich fragte er sie, ob sie Lust habe, mit ihm zu telegrafieren. Sie verließen den Chatroom und schickten sich Telegramme. Sie hieß Svenja, war neunundzwanzig Jahre alt und arbeitete als Oberstufenlehrerin für Deutsch und Geschichte an einem Gymnasium in Frankfurt, was der Wahrheit entsprach.
    »Schön, ich wohne auch in Frankfurt«, schrieb er zurück, auch wenn es nicht ganz stimmte. »Wie heißt Du, und was machst Du beruflich?«
    »Thomas, und ich bin Wirtschaftsprüfer«, log er, obwohl es für ihn kaum einen langweiligeren Beruf gab außer Buchhalter.
    Er log, so wie die meisten logen, wenn sie sich selbst beschrieben. Sie gaben falsche Namen an, falsche Berufe, machten sich schöner oder größer, als sie in Wirklichkeit waren und, und, und. Er kannte die Spielregeln nur zu gut, schließlich hatte er bereits mehrfach in den vergangenen Monaten Frauen übers Internet kennen gelernt und sich sogar mit zwei von ihnen getroffen. Die eine hatte ihn gleich zu sich nach Hause eingeladen, obwohl sie ihn gar nicht kannte, und sie war nicht mittelgroß und schlank, sondern klein und dick mit einem Dreifachkinn. Das Schlankste waren noch ihre Finger. Sie hatte fettiges Haar, dafür gierige Augen und eine schrille Stimme. Und in ihrer Wohnung stank es nach Rauch, und es sah aus, als hätten die Vandalen gehaust; überall Bier- und Schnapsflaschen, überquellende Aschenbecher, alles war versifft, dass er sich nur noch ekelte.
    Die andere, eine Zahnärztin, hatte ihr Alter mit fünfunddreißig angegeben, dabei war sie fünfzehn Jahre älter, und sie hatte behauptet, humorvoll zu sein, doch während der zwei Stunden, die er mit ihr in einem sündhaft teuren Restaurant verbrachte, huschte zwar hin und wieder ein Lächeln über ihre schmalen Lippen, doch ihre Augen waren glanzlos, fast stumpf, was vielleicht daran lag, dass sie unsicher war. Eine einsame Frau, das hatte er schnell herausgefunden, die laut ihren Worten mit einem Arschloch von Mann zusammenlebte, der sie seit mehr als zwanzig Jahren nicht angerührt hatte, obwohl sie nicht unattraktiv für ihr Alter war, aber dennoch zu alt für ihn. Sie hatte ihm von ihren Eltern erzählt, besonders von ihrem Vater, der an Krebs erkrankt war und bei dem es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis er starb. Sie besuchte ihn so oft wie möglich, und sie wollte bei ihm sein, wenn er die Augen für immer schloss. Sie hatte Geld, aber das hatten andere auch. Und sie gehörte ganz sicher nicht zu den Frauen, denen er auf der Straße auch nur einmal hinterher geguckt hätte. Sie wäre ihm gar nicht aufgefallen, wenn sie
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