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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut
Autoren: Linda Castillo
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leid.«
    »Was? Umgekommen ?« Sein Mund geht auf, und weit auseinanderstehende gelbe Schneide- und Backenzähne kommen zum Vorschein. »Heißt das, sie sind tot?«
    »Es tut mir sehr leid«, sagt Tomasetti.
    »Aber wie ist das möglich? Heute Morgen habe ich sie doch noch gesehen. Mamm hat mir wie immer Milch gebracht. Sie waren nicht krank. Warum sagen Sie solche Sachen?« Er sieht mich an, als erwarte er, dass ich Tomasettis Aussage richtigstelle. Als ich das nicht tue, lässt er sich zurück ins Kissen fallen und sieht zur Decke. »Ich glaube Ihnen nicht«, sagt er mit bebender Brust. »Sie würden mich nicht allein lassen.«
    Ohne den Blick von ihm zu wenden, schenkt Tomasetti Wasser aus dem Plastikkrug in einen Becher und reicht ihn Noah.
    Noah trinkt, ohne aufzusehen. Als er fertig ist, legt er sich zurück und schließt die Augen. »Ich glaube nicht, dass sie tot sind. Wie sind sie gestorben?«
    »Dein Vater war krank –«
    »Aber ihm hat nichts gefehlt.«
    Tomasetti fasst sich an die Schläfe. »Er war krank im Kopf, da, wo man es nicht sehen kann.«
    Noah Mast hält sich die Hände vors Gesicht und weint.
    * * *
    Die Whistle Stop Tavern in Monongahela Falls liegt inmitten von Lagerhallen, zwischen dem Grand River auf der einen Seite und einer starkbefahrenen Eisenbahnlinie auf der anderen. Wie der Name sagt, hat man einen alten Eisenbahnwagen zu einer Bar mit Restaurant umgebaut, wobei der Bar-Aspekt sichtlich überwiegt. Der Geruch von frittierten Zwiebeln und Zigarettenrauch sollte mich abstoßen, doch ich habe eine Vorliebe für schräge Orte und schon viel zu viel Zeit in solchen Kneipen verbracht, um diese hier nicht gut zu finden.
    Entlang der linken Wagenseite befinden sich sechs Nischen mit den obligatorischen roten Kunstlederbänken und Resopaltischen, die rundherum mit Chrom eingefasst sind. Die Theke selbst sieht aus wie eine Rampe, auf der früher die Waren in Eisenbahnwagons verladen wurden. Sie ist aus massivem, verkratztem Holz und zieht sich über die ganze Wagenlänge. Der untere Bereich, vor dem verchromte rote Hocker wie bunte Pilze aufgereiht sind, klebt voller Kaugummis – und zwar der gekauten Variante. Offenbar haben die Kunden irgendwann in den letzten Jahrzehnten die seltsame Tradition begründet, ihre Kaugummis ans Holz zu pappen.
    Es ist nach Mitternacht und das Lokal menschenleer. Wir setzen uns in eine Nische am hinteren Ende und bestellen Kaffee. Der Barkeeper ist groß und kahlköpfig. Er hat Arme wie Baumstämme, ein Halsband mit Spikes um den Hals und auf dem rechten Oberarm das Tattoo eines Pitbulls. Aber er ist schnell und freundlich und bringt uns in kürzester Zeit zwei Becher dampfenden Kaffee.
    Tomasetti hebt lächelnd seine Tasse. »Glaubst du, zu dem Halsband gibt’s eine passende Leine?«
    »Ich wette, die hat seine Frau im Nachttisch am Bett.«
    »Alles Weitere möchte ich mir ungern vorstellen.« Er hält die Tasse leicht schief. »Trinken wir auf die interessanten Charaktere dieser Welt.«
    »Wovon es wirklich genug gibt.«
    Wir nippen am Kaffee, kommen mit dem nachfolgenden Schweigen gut klar. Die letzten Stunden waren sehr intensiv, und wir brauchen ein wenig Zeit, um wieder runterzukommen.
    Nach einer Weile sagt Tomasetti: »Du hast noch nicht alles erzählt, was im Tunnel passiert ist.«
    Bis jetzt hatte ich noch keine Gelegenheit, über die Zeit nachzudenken, in der ich mit Perry Mast im Tunnel war. Doch jetzt, wo mein Adrenalin sich wieder normalisiert hat und Erschöpfung einsetzt, wird mir klar, dass diese wenigen Minuten wahrscheinlich zu den furchtbarsten meines Lebens gehören.
    »Das Schlimmste war, dass ich die Mädchen allein zurücklassen musste«, sage ich. »Sie hatten entsetzliche Angst, dass ich nicht zurückkomme und sie raushole.«
    »Offensichtlich kennen sie dich nicht so gut wie ich. Erinnere mich daran, dich später zusammenzustauchen, weil du deinen Kopf riskiert hast, okay?« Doch in seiner Stimme liegt kein Groll.
    »Schlechte Angewohnheit von mir.« Mein Lächeln ist aufgesetzt, doch ich gebe mir keine Mühe, es zu vertuschen. Vielleicht, weil ich müde bin. Vielleicht, weil ich ihm so sehr vertraue, dass ich ihm auch meine negative Seite zeigen kann.
    Ich denke an den Fall und an all die seltsamen Orte, an die er uns geführt hat. Ich denke an die Leiche, die ich im Tunnel gefunden habe.
    »Hat der Coroner schon was gesagt, wie lange Leah Stuckey tot ist?«
    Tomasetti schüttelt den Kopf, sieht mich vorwurfsvoll an. »Du
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