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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut
Autoren: Linda Castillo
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hättest sie nicht retten können, Kate.«
    »Wenn wir ihm eher auf die Schliche gekommen wären, hätten wir vielleicht –«
    »Hör auf damit.« Er mildert die Worte mit einem Lächeln. »Dass diese drei Mädchen leben, haben sie dir zu verdanken. Was du getan hast. Du bist deinem Instinkt gefolgt und hast dich in eine gefährliche Lage begeben, was eine Menge andere Cops nicht getan hätten. Also hör auf mit den Selbstvorwürfen.«
    Im Fernsehen über der Bar kommt jetzt eine Nachrichtensendung, und der Barkeeper stellt den Ton mit der Fernbedienung lauter. Weder Tomasetti noch ich sehen hin, aber wir hören zu.
    Wie aus dem Sheriffbüro von Lake County bekannt wurde, hat heute Nachmittag ein Amischer seine Frau erschossen und sich danach selbst gerichtet. Zwar hält sich die Behörde mit Einzelheiten zurück, doch Meldungen zufolge wurden in einem unterirdischen Raum mehrere Geiseln gefunden. Diese Mädchen, von denen einige schon seit längerer Zeit als vermisst gelten, erholen sich derzeit in einem Krankenhaus in Cleveland. Bis jetzt wurden keine Namen veröffentlicht …
    Tomasetti stellt seine Tasse auf den Tisch, geht zur Jukebox, kramt Kleingeld aus der Hosentasche und drückt ein paar Tasten. Kurz darauf dröhnt »Lunatic Fringe« von den Red Riders aus den Lautsprechern und übertönt die Worte des Nachrichtensprechers.
    Wir wollen beide nicht über den Fall sprechen, doch genau das würde jetzt helfen, die Spannung abzubauen, die ich zwischen uns spüre.
    Schließlich bricht Tomasetti das Schweigen. »Vorhin hat mich ein Techniker von der Spurensicherung angerufen«, sagt er. »Sie haben noch weitere Menschenknochen gefunden – in den Schweinepferchen.«
    Die Schweinepferche . Die eigentliche Bedeutung der Worte legt sich mir wie eine Schlange um den Hals. »Konnten sie schon welche identifizieren?«
    »Ich weiß nicht, ob das Labor überhaupt noch DNA von den Knochen gewinnen kann. Wir überprüfen alle ungeklärten Vermisstenfälle der zurückliegenden Jahre, aber die Identifizierung wird wohl eine Weile dauern.«
    Ich nicke, versuche mir vorzustellen, was die Masts zu solchen schrecklichen Taten getrieben hat. »Wir haben mit ihnen gesprochen, Tomasetti. Warum haben wir nicht gemerkt, dass mit ihnen was nicht stimmt?«
    »Wahnsinn ist nicht immer offensichtlich.«
    »Wie ist es bei ihnen so weit gekommen?«
    Er zuckt die Schultern. »Nach allem, was wir über sie wissen, fing es vermutlich mit dem Selbstmord ihrer Tochter an.«
    »Sie sind einfach übergeschnappt«, sage ich. »Haben den Verstand verloren.«
    »Oder sie waren bloß zwei Fanatiker, die sich in ihrem Wahn gegenseitig bestärkt haben.«
    In seiner Stimme schwingt Verbitterung mit, und zum ersten Mal wird mir die tragische Ironie dieses Falles klar. Es geht um Kinder, unser wertvollstes Gut, und wie wir sie behandeln. Wie realitätsfremd selbst gute Eltern sein können. Aber in diesem Fall geht es vor allem um Kinder, die verloren sind, die durchs Netz fallen, amische wie englische. Manche von ihnen wurden geliebt, manche ignoriert. Anderen wiederum wird von ihren Eltern oder der Gesellschaft nur Gleichgültigkeit oder Geringschätzung entgegengebracht.
    Ich sehe Tomasetti an und frage mich, wie das bei ihm war. Wie oft habe ich schon versucht, ihn mir als Mann vorzustellen, der seine Frau liebt und in seine zwei kleinen Töchter vernarrt ist. Nicht leicht, mir davon ein Bild zu machen. Vermutlich ist er heute ein anderer Mann als damals.
    »Es muss sehr schwer für dich sein, mit einem Fall wie diesem klarzukommen«, sage ich nach einer Weile.
    Noch bevor er auf seinen Kaffee starrt, sehe ich den Schutzwall um ihn herum hochgehen. Auch noch nach drei Jahren sind der Tod seiner Frau und seiner Kinder nicht verarbeitet.
    »Tomasetti?«
    Er sieht mich an. »Ja?«
    »Wenn du jemals darüber reden willst, ich kann gut zuhören.«
    Seine Gesichtszüge entspannen sich leicht. »Ich weiß.«
    Ein vorbeifahrender Zug übertönt die letzten Takte von »Lunatic Fringe«, das Rattern lässt die Flaschen in den Barregalen klirren. Die Tischplatte wackelt, und der Boden unter meinen Füßen vibriert.
    Mir gegenüber sitzt Tomasetti zusammengesunken auf der Bank und starrt auf die Kaffeetasse. Sein Gesicht verrät nicht, was er denkt noch was er fühlt. Es ist ein Gesicht voller Kampfnarben, auch wenn keine einzige sichtbar ist. Ich möchte ihn heilen, weiß aber nicht, ob ich das kann – ob er es mir erlaubt.
    »Ich hab ein Zimmer
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