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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut
Autoren: Linda Castillo
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gezwungen, dort unten zu leben?«, fragt Tomasetti.
    »Ich denke schon.«
    »Haben sie dir gesagt, warum?«
    »Ich bin der Sünde zum Opfer gefallen.« Der sachliche Ton macht seine Antwort noch grotesker.
    »Was hast du getan?«
    »Einmal war ich mit einem Mädchen zusammen – Sie wissen schon … hab Sachen gemacht. Schlimme Sachen.« Der amische Mann senkt den Blick, als würde er sich schämen, uns anzusehen. »Also wir …« Sein linkes Bein fängt an zu zucken. »Ich habe sie geküsst. Und berührt. Wir haben … na ja.«
    Tomasetti nickt. »Du hast Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt.«
    » Ja .«
    »Wie heißt das Mädchen?«
    »Hannah Schwartz.«
    Ich ziehe mein Notizbuch aus der Tasche, schreibe den Namen auf. Und frage mich, ob sie vermisst wird – oder tot ist.
    »Wie haben deine Eltern davon erfahren?«, fragt Tomasetti.
    » Datt ist in die Scheune gekommen und hat uns gefunden.«
    »Was hat er dann gemacht?«
    »Wir haben gebetet, und danach hat er Hannah weggeschickt. Dann hat er die Pferdepeitsche genommen und mich ausgepeitscht.«
    Tomasetti schüttelt kaum merklich den Kopf. »Er hat dich mit der Peitsche geschlagen?«
    »Er hat mir bloß ein paar Striemen verpasst, an den Beinen und am Hinterteil, mehr nicht.«
    »Wie alt warst du da?«
    »Keine Ahnung.« Er zuckt die knochigen Schultern. »Vierzehn oder fünfzehn, ist lange her.«
    Tomasetti nickt. »Was hat dein Vater sonst noch mit dir gemacht, wenn du böse warst?«
    »Manchmal hat er mich in den Tunnel gesteckt und an der Wand festgemacht.«
    »Wie meinst du das, ›an der Wand festgemacht‹?«
    »Na ja, mit der Eisenkette.«
    »Er hat dich an die Wand gekettet?«
    » Ja .«
    »Wie lange musstest du da unten bleiben?«
    »Das hing davon ab, wie böse ich gewesen bin. Manchmal eine Stunde.« Wieder zuckt er die Schultern. »Manchmal eine Woche.«
    »Wie oft warst du böse?«
    Noah betrachtet seine Hände, zupft an einem Grind. »Ich hab immer versucht, gut zu sein. Ich wollte immer die Ordnung befolgen, und Gottes Gebote. Aber manchmal ist es mir nicht gelungen.«
    »Und warum hat dich dein Datt dann ganz nach da unten verbannt?«
    Der junge Mann beginnt, an einem Fingernagel zu kauen. Sein Bein zuckt jetzt unkontrolliert. »Er hat mir die Schuld dafür gegeben, was mit Becca passiert ist.«
    »Becca ist deine Schwester?«
    » Ja .«
    »Was ist mit ihr passiert?«, fragt Tomasetti.
    »Sie hat sich umgebracht.«
    »Und warum haben deine Eltern dir die Schuld daran gegeben?«
    »Ich weiß es nicht. Ich hab nichts gemacht.«
    »Hat Becca sich vielleicht manchmal schlecht benommen?«
    »Nein, niemals. Becca war perfekt.« Er vergräbt das Gesicht in den Händen und fängt an zu weinen. »Sie war wie ein Engel.«
    Tomasetti gibt ihm einen Moment, sich zu fassen, dann fragt er: »Dann haben sie dich nach Beccas Tod also dauerhaft da unten eingesperrt?«
    » Ja .«
    »Durftest du auch manchmal raus?«
    Er hebt den Kopf, reibt sich die Augen mit den Handballen. »Sie haben mir alles runtergebracht, was ich brauchte. Fleisch und Brot, Wasser, Milch. Mamm hat mir aus der Bibel vorgelesen.«
    Tomasetti starrt auf die Schwielen an Noahs Handgelenken. »Warst du gefesselt?«
    »Meistens. Aber nur, weil ich mal versucht habe wegzulaufen.«
    »Waren noch andere unten im Tunnel?«
    Noah antwortet nicht sofort. Offensichtlich will er seine Eltern schützen, trotz allem, was sie ihm angetan haben – trotz der Jahre, die sie ihm gestohlen haben. »Gesehen habe ich niemanden, aber manchmal habe ich wen gehört. Weinen und so.«
    »Kennst du vielleicht ihre Namen?«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Waren es Jungen und Mädchen?«
    »Mädchen, glaube ich.«
    Tomasetti nickt. »Weißt du, warum deine Eltern sie dort festgehalten haben?«
    »Wahrscheinlich haben sie was Böses gemacht und mussten auf den rechten Weg zurückgebracht werden. So wie ich.«
    »Wie haben deine Eltern die Mädchen gefunden?«
    »Keine Ahnung.«
    »Weißt du, wie sie die Mädchen in den Tunnel gebracht haben?«
    »Ich glaube, Gott hat sie gebracht.«
    Tomasetti blickt auf seine Hände, verschränkt die Finger, löst sie wieder voneinander. »Noah, ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten, was deine Eltern betrifft.«
    »Wie meinen Sie das?« Auf die Ellbogen gestützt, richtet er sich im Bett auf. Sein Krankenhaushemd verrutscht, gibt den Blick frei auf eine behaarte, eingefallene Brust und spitze, knochige Schultern.
    »Deine Eltern sind heute Nachmittag umgekommen. Es tut mir
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