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Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier
Autoren: Sue Grafton
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Scheinwerfer über die überdachte Autoabstellfläche, auf der ich den Volvo und das Cabrio stehen sehen konnte. Die ganz links gelegene Lücke war leer, und ich nahm an, dass dort immer Dow seinen Wagen abgestellt hatte. Ein winziger Stromstoß durchzuckte mich. Ich bog in die Paloma Lane ein, fuhr einen halben Block weit und hielt dann am Straßenrand an. Ich stieg aus und ging die paar Schritte zum Haus zurück. Als ich die Einfahrt betrat, knirschten meine Schritte auf dem Kies, wie wenn jemand einen Mund voll Eis zerkaut.
    Crystal hatte die Haustür wieder geschlossen, und um mich herum war es dunkel. Ich roch das Meer und hörte das Rauschen der Wellen. Die Ruhe war wie Nektar, der durch die stille Nachtluft zieht. Der Regen hatte den schweren Duft von Seetang, Kiefernzweigen und Einsamkeit zurückgelassen. Ich kann beschwören, dass sogar die Dunkelheit einen eigenen Geruch besaß. Zeig Mut zur Dummheit, sagte ich zu mir selbst. Manche Leute halten dich ohnehin schon für dumm, also was spielt es noch für eine Rolle?
    Wie bei Fiona postierte ich mich an einen Fleck, der in etwa dem Fahrersitz des Mercedes entsprach, wenn Dow den Wagen an jenem Abend dort abgestellt hätte, wenn er an diesem Abend dort geparkt hätte. Vielleicht hatte ihm Crystal sexuelle Pikanterien versprochen und ihm die bevorstehenden Wonnen in so leuchtenden Farben geschildert, dass er seinen geplanten Besuch bei Fiona hatte sausen lassen und zu seiner Frau nach Hause gefahren war. Er musste sich vorgestellt haben, wie sie in einem dünnen Negligé zu ihm herauskäme... in irgendetwas Durchsichtigem... einem zarten, seidigen Stoff, den die Meeresbrise kokett beiseite wehen und so ihre Beine zum Vorschein bringen würde. Crystal wusste, wie sie ihren Körper möglichst effektvoll einsetzen konnte. Die .375er Magnum hätte sie sich schon bei einer früheren Gelegenheit angeeignet haben können. Sie hatte der Polizei gesagt, Dow hätte die Waffe in seinem Schreibtisch im Büro oder im Handschuhfach seines Wagens aufbewahrt. Sie hatte Zugang zu beidem, vor allem wenn sie mit Griffith zu Besuch ins Pflegeheim kam. Selbst wenn sie in Jogginganzug und Laufschuhen erschien, brauchte sie nur die Wagentür zu öffnen, sich über den Sitz zu beugen und ihn so zart wie mit einem Kuss umzubringen. Die Leiche zum Stausee hinaufzufahren war ein schönes Beispiel für Irreführung — das Risiko, auf der Straße gesehen zu werden, bedeutete ihr offenbar weniger als die Gelegenheit, Fiona in Bedrängnis zu bringen. Angesichts der Geldsumme, die Fiona zu erwarten hatte, würde die Polizei selbstverständlich die Möglichkeit verfolgen, dass sie ihn ermordet hatte.
    Ich blickte nach links und taxierte die Flugbahn einer Kugel, die in diese Richtung flog. Wenn ein Schuss aus einer Charter Arms .357 Magnum abgegeben worden und über den Beifahrersitz und durch den Kopf des braven Doktors gegangen war, bestand die zwangsläufige Folge darin, dass die Kugel weiter geflogen war, das Autofenster zertrümmert, drei weitere Meter zurückgelegt und sich in die Holzverkleidung des Nachbarhauses gebohrt hatte.
    Ich überquerte das unregelmäßig bewachsene Rasenstück zwischen der Abstellfläche und dem nächsten Gebäude. Früher war es womöglich einmal eine frei stehende Garage gewesen, doch jetzt schloss es ans Nebenhaus an und war zu einem Gästeflügel oder einem Fernsehzimmer umgebaut worden. Ich nahm die Taschenlampe heraus und schaltete sie ein. Dann schob ich die Büsche beiseite und ließ den Strahl über die groben Schindeln wandern. Das Einschussloch war groß und hing wie eine schwarze Spinne an der Seite des Hauses.
    Über die gekieste Fläche kehrte ich wieder zu Crystals Haustür zurück und klingelte. Einen Moment später machte sie auf, mit einer Miene, als könnte ich jemand sein, der für einen wohltätigen Zweck sammelt oder hausieren geht. »Ach, mit Ihnen habe ich gar nicht gerechnet. Was gibt’s denn?«
    »Darf ich mal bei Ihnen telefonieren?«
    Sie schaute verständnislos, trat aber beiseite und ließ mich ein. Sie war barfuß, trug Joggingklamotten und hatte die Haare auf dem Kopf zusammengesteckt. Sie spähte hinaus. »Wo ist denn Ihr Auto?«
    »Es steht auf der Straße. Der Motor hat ausgesetzt, und ich muss irgendwie nach Hause kommen.«
    »Ich kann Sie fahren«, sagte sie. »Warten Sie kurz, ich muss nur die Autoschlüssel holen.«
    »Nein, nein. Bitte. Ich möchte Ihnen keine Umstände machen. Ein guter Freund von mir, der sich mit
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