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Tödliche Absicht

Tödliche Absicht

Titel: Tödliche Absicht
Autoren: Lee Child
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war – zum Dienst und traf ihre endgültige Entscheidung. Sie machte sich auf die Suche nach ihrem nächsten Vorgesetzten und traf ihn im Vorzimmer seines Büros an: offenbar irgendwohin unterwegs, offensichtlich in Eile. Er trug einen Ordner unter dem Arm und hatte einen deutlich abweisenden Gesichtsausdruck. Sie holte tief Luft und machte ihm begreiflich, sie müsse sofort mit ihm reden. Dringend. Inoffiziell und natürlich unter vier Augen. Also machte er abrupt kehrt und ging in sein Büro zurück. Er ließ sie an sich vorbei ins Zimmer gehen und schloss die Tür hinter ihr – leise genug, um dieser außerplanmäßigen Besprechung etwas Verschwörerisches zu geben, aber doch nachdrücklich genug, um zu signalisieren, wie sehr ihn diese Unterbrechung seiner gewohnten Routine irritierte. Das Klicken des Schlosses war zugleich eine deutliche Botschaft, die in allen Bürohierarchien der Welt verstanden worden wäre: Ich will nur hoffen, dass Sie mit Ihrem Anliegen nicht meine Zeit vergeuden.
    Er war ein Veteran mit über fünfundzwanzig Dienstjahren: längst in der Schlussrunde vor der Pensionierung, schon über Mitte fünfzig, ein Relikt aus der guten alten Zeit. Noch immer groß, ziemlich schlank und sportlich, aber er wurde rasch grau und im Gesicht voller. Er hieß Stuyvesant. Wie der letzte Generalintendant von Neu-Amsterdam, pflegte er zu sagen, wenn jemand ihn nach der Schreibweise fragte. Um zu demonstrieren, dass er mit den Realitäten der modernen Welt vertraut war, fügte er dann hinzu: wie die Zigarette. Er trug nur Anzüge von Brooks Brothers, aber er galt als Mann, der in seiner Taktik flexibel sein konnte. Er hatte noch nie versagt. Niemals, obwohl er seit langem dabei war und überdurchschnittlich viele Schwierigkeiten zu bewältigen gehabt hatte. Aber es hatte keine Misserfolge und auch keine Pechsträhnen gegeben. Deshalb galt er nach den strengen Maßstäben von Organisationen in aller Welt als Mann, für den es sich gut arbeiten ließ.
    »Sie sehen etwas nervös aus«, bemerkte er.
    »Das bin ich auch«, gab Froelich zu.
    Sein Büro war klein und ruhig, spärlich möbliert und blitzsauber. Die Wände waren in leuchtendem Weiß gestrichen und von Halogenlampen erhellt, die Lamellen der Jalousie vor dem Fenster halb geschlossen, um das graue Novemberwetter auszusperren.
    »Weshalb sind Sie nervös?«, fragte er.
    »Ich muss Ihre Genehmigung einholen.«
    »Wofür?«
    »Für etwas, das ich ausprobieren möchte«, sagte Froelich. Sie war zwanzig Jahre jünger als Stuyvesant, genau fünfunddreißig. Eher groß als klein, nur etwa drei bis vier Zentimeter größer als die Durchschnittsamerikanerin ihrer Generation, aber angesichts der Intelligenz, Energie und Vitalität, die sie ausstrahlte, verbot der Ausdruck Mittelmaß sich von selbst. Sie wirkte geschmeidig, muskulös und sah mit ihrem makellosen Teint, den glänzenden Augen und den kurzen blonden Haaren wie eine Sportlerin aus. Sie erweckte den Eindruck, als habe sie sich rasch umgezogen, nachdem sie zuvor bei den Olympischen Spielen eine Goldmedaille gewonnen und danach kurz geduscht hatte. Froelich wirkte sehr kompetent, aber auch sehr bescheiden.
    »Worum geht’s also?«, fragte Stuyvesant. Er drehte sich um und legte den Ordner, den er unter dem Arm getragen hatte, auf den großen Schreibtisch. Dieser war ein hochwertiges Büromöbel, das zwanghaft geputzt und wie ein antikes Stück poliert wurde. Stuyvesant war dafür berühmt, dass kein Stück Papier darauf lag. Diese Angewohnheit erweckte den Eindruck von ungeheurer Effizienz.
    »Ich möchte, dass ein Außenstehender es tut«, sagte Froelich.
    Stuyvesant richtete den Ordner an einer Ecke der Schreibtischplatte aus und ließ seinen Zeigefinger über den Rücken und eine Kante gleiten, als wollte er sich davon überzeugen, dass der Winkel stimmte.
    »Halten Sie das für eine gute Idee?«, fragte er.
    Froelich schwieg.
    »Sie denken vermutlich an jemand Bestimmten?«, fragte er.
    »Eine ausgezeichnete Wahl.«
    »Wer?«
    Froelich schüttelte den Kopf. »Sie sollten lieber nichts davon wissen«, sagte sie. »Das ist besser.«
    »Ist er empfohlen worden?«
    »Oder sie.«
    Stuyvesant nickte wieder. Die moderne Welt. »Ist die Person, an die Sie denken, empfohlen worden?«
    »Ja, von einer ausgezeichneten Quelle.«
    »Im Dienst?«
    »Ja«, sagte Froelich wieder.
    »Dann wissen wir bereits davon.«
    »Nein, diese Quelle ist nicht mehr im Dienst.«
    Stuyvesant wandte sich erneut ab und richtete den
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