Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toechter der Dunkelheit

Toechter der Dunkelheit

Titel: Toechter der Dunkelheit
Autoren: Alexandra Balzer
Vom Netzwerk:
zögerte sie – wurde von ihr erwartet, ein Kaninchen zu präsentieren, das weiterhin verletzt war, eingewickelt in Tücher?
    Das ist wohl kaum der Schwesternschaft würdig. Soll ich es also liegen lassen und das tote Kaninchen zeigen?
    Behutsam drehte sie das verletzte Tier um. Die Schnittwunde am rechten Vorderlauf ging tief in den Muskel. Ein sauberer, glatter Stich, mit einem scharfen Dolch geführt. Das Kaninchen litt Schmerzen, würde aber, sobald es den Schock überwunden hatte, auch auf drei Beinen gut vorwärts kommen.
    Ich habe es schon einmal getan.
    Inani zögerte. Shora hatte sie gelehrt, die magischen Energien zu beherrschen, damit sie von ihnen nicht überwältigt wurde. Es war ihr weder gestattet, sie zu nutzen, noch wusste sie mit Sicherheit, ob es ihr gelingen würde, sie überhaupt zu erreichen. Möglicherweise würde sie das Tier töten und damit alles verderben!
    Ich habe es schon einmal getan. Es war leicht.
    Kythara hatte gesagt, dass sie bloß eine einzige Handlung durchführen durfte. Hatte sie damit nicht längst versagt?
    Ich habe es schon einmal getan. Es war leicht. Und ich schaffe es wieder!
    Inani konzentrierte sich, dachte an die Lebensströme des kleinen Tiers in ihren Armen. Sehr bald spürte sie das schlagende Herz nicht nur unter ihren Fingern, sondern in ihrem gesamten Bewusstsein. Wie von selbst glitt ihr Daumen über den Brustkorb des Kaninchens. Sie lächelte, als sie fühlte, wie sich der rasende Puls verlangsamte. Und dort war die Wunde, ein klaffender Abgrund in dem vollkommenen Netz der
    Lebensenergie, die sie jetzt in diesem kleinen Geschöpf sah. Bloß ein Gedanke, eine kurze Willensanstrengung, und ein Geflecht erwuchs in diesem klaffenden Spalt.
    Sie zuckte zusammen, als das Kaninchen plötzlich losstrampelte und versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie in Trance gewesen war – hoffentlich nicht zu lange! Die Wunde war verschlossen, eine feine Narbe und etwas blutverkrustetes Fell war alles, was noch daran erinnerte.
    Entschlossen packte Inani beide Tiere, das geheilte und das erlöste Kaninchen, und kehrte zurück zum Versammlungsraum.
    Wenn ich schon untergehe, soll es wenigstens schnell gehen.
     
    Es herrschte fröhlicher Aufruhr, als sie durch ihr Tor heraustrat. Corin hielt mit vor Stolz geröteten Wangen ein totes Kaninchen und eine leere Phiole hoch. Alle applaudierten ihr, Kythara sprach gerade lobende Worte. Inani verharrte still, um diesen Moment des Triumphes nicht zu stören, doch da hatte man sie bereits entdeckt. Schweigen trat ein, kurz durchbrochen von gemurmelter Empörung, als die Hexen sahen, dass Inani ihre Aufgabe offenbar falsch gelöst hatte. Dann war es wieder still.
    Unheilvolles, wartendes Schweigen. Corin starrte sie hasserfüllt an, denn nun beachtete sie niemand mehr. Ihr großer Augenblick war vergessen und verloren.
    „Was hast du der Schwesternschaft vorzuweisen, Inani, Tochter der Shora?“, fragte Kythara schließlich langsam.
    „Ich habe das sterbende Tier von seinen Qualen erlöst, es brauchte mich am meisten. Das verletzte Tier konnte ich heilen, das war leicht. Ich hielt es für den richtigen Weg, das Gleichgewicht zu wahren.“ Mit diesen Worten, laut genug gesprochen, dass jeder sie hören konnte, legte sie beide Tiere in Kytharas Hände. Dann trat sie zurück, mit verschränkten Armen und erhobenem Kopf, gewillt, keine Schwäche zu zeigen. „Du hast heilende Magie eingesetzt?“, vergewisserte sich die Königin. Ein Hauch von Unsicherheit schwang in ihrer Stimme mit.
    „Ja. Ich habe dies schon zuvor versucht, bei einem Pferd. Meine Mutter wusste nichts davon. Sie hat es mich weder gelehrt noch mich dazu ermuntert.“
    „Woher weißt du, wie man die Lebensmuster erkennt? Woher weißt du, wie viel Kraft nötig ist, und wann es schädlich für dich selbst wird?“
    Ratlos schüttelte Inani den Kopf. „Ich ... ich weiß es einfach.“
    „Geht raus! Alle raus! Der Rat zu mir!“, befahl Kythara. Sie hatte so leise gesprochen, dass selbst Inani, die direkt vor ihr stand, die Worte kaum vernommen hatte. Dennoch gehorchten der Reihe nach alle Hexen, der Raum leerte sich. Unsicher, ob auch sie selbst gemeint war, wandte sich Inani zum Ausgang, doch Kytharas Hand schoss vor. Lange, spitze Fingernägel bohrten sich in ihre Haut.
    „Du bleibst. Shora, du wirst hier ebenfalls gebraucht!“
    Eine Welle der Erschöpfung schlug über dem Mädchen zusammen. Sie fand sich am Boden liegend in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher