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Todesträume am Montparnasse

Titel: Todesträume am Montparnasse
Autoren: Alexandra Grote
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trinken eine Tasse Kaffee.
    Deine Frage nach einem neuen Mann in meinem Leben kann ich rasch beantworten: Es gibt keinen. Nach der Scheidung von Louis habe ich wenig Lust auf eine neue Beziehung. Das kann sich natürlich ändern, aber im Moment fühle ich mich ganz wohl in meiner Haut.
    Wann besuchst Du mich endlich einmal in Paris? Oder besser noch: Ihr beide besucht mich, Maja und Du! Wie wär ’ s, wenn Ihr Eure Hochzeitsreise nach Paris plant? Denkt mal darüber nach. Ich könnte Euch meine Wohnung zur Verfügung stellen und mich in der Zeit bei meiner Nachbarin einquartieren, damit Ihr ungestört seid. Apropos Hochzeit: Gebt mir bitte rechtzeitig den Termin bekannt, denn ich muss hier frühzeitig meinen Urlaub beantragen, damit ich kommen kann.

    Du fragst in Deinem Brief, ob ich noch regelmä- ßig Klavier spiele. Ja, das tue ich. Ein bis zwei Stunden täglich halte ich mir dafür frei. Nie werde ich mein erstes großes Konzert vergessen, damals, als ich siebzehn war. Du kamst am Schluss auf die Bühne und hast mir diesen wunderschönen Strauß gelber und weißer Rosen überreicht und warst mächtig stolz auf mich. Dieser Abend mit dem anschließenden Fest, das Papa mir zu Ehren gab, war einer der schönsten in meinem Leben.
    Was wäre, wenn wir nicht alle unsere schönen Erinnerungen hätten? Das Leben wäre unendlich ärmer.
    In diesem Sinne umarme ich Dich,
    Deine E.
     
    P. S. Bitte grüße Maja sehr herzlich von mir!
    Ein Brief an sie ist demnächst unterwegs.

5. KAPITEL
    Der Schnee knirschte unter seinen Füßen. Nur noch vereinzelt fielen Flocken vom Himmel. LaBréa durchquerte das Gewirr der kleinen Straßen an der Nordostseite der Gare de Lyon. Es war eine heruntergekommene Gegend. Hier gab es jede Menge Kleinkriminalität, Drogendelikte, Prostitution.
    Es tat gut, ein paar Schritte zu gehen. Der Kopf wurde frei, eine wohltuende Leere füllte LaBréas Gehirn. Das würde einige Minuten andauern und war auch dringend nötig, bevor der ganze Wust einer komplizierten Mordermittlung sein gesamtes Denken und Fühlen wieder in Anspruch nahm.
    An der Place Henri Frenay kaufte er sich an einem Imbissstand ein Stück Pizza mit Schinken und schwarzen Oliven. Das musste als Mittagessen genügen. Er würde keine Zeit haben, eines seiner Lieblingsrestaurants in der Umgebung seiner Dienststelle aufzusuchen.
    Während er an einem der Stehtische das heiße, doch fad schmeckende Pizzastück aß, dachte er an Céline. Heute war Dienstag. Für Freitag hatte er seinen Flug gebucht, um sie in Barcelona zu besuchen. Und jetzt dieser Mord an Pascal Masson. Kein gewöhnlicher
Mord, so viel schien klar zu sein. Vielmehr eine brutale Hinrichtung und ein makabres Arrangement, bei dem ein Ausschnitt aus dem Boléro von Ravel eine bedeutsame Rolle zu spielen schien. Mit all seiner Erfahrung nach beinahe zwanzig Jahren im Polizeidienst ahnte LaBréa, dass dieser Fall nicht innerhalb von zwei Tagen gelöst sein würde. Und das müsste er schon, wenn er Freitag früh um acht in den Flieger steigen wollte. Es war also zu befürchten, dass sein Besuch in Barcelona ins Wasser fiel.
    Er wischte sich Mund und Hände mit der Papierserviette ab und warf den leeren Pappteller in die Mülltonne. Er ging die wenigen Schritte zum Boulevard Diderot und hielt ein Taxi an. Durch den dichten Mittagsverkehr fuhr ihn der Fahrer zum Quai des Orfèvres. Auf den großen Straßen und Boulevards hatte sich der Schnee inzwischen in graubraunen Matsch verwandelt.
    Als er im Taxi saß, sah LaBréa plötzlich wieder das Gesicht seiner Mutter vor sich. Den rätselhaften Blick ihrer Augen, in denen gleichzeitig eine unendliche Traurigkeit zu liegen schien. Und er dachte an seine verstorbene Frau. Im kommenden Monat jährte sich zum ersten Mal der Tag, an dem Anne in ihrer Praxis in Marseille ermordet worden war. Warum hatte ein Mensch wie Anne vorzeitig von der Bühne des Lebens abtreten müssen? Warum war seine Mutter dazu verdammt, immer tiefer in die
dunkle Welt ihrer Krankheit hinabzugleiten? Er wusste, dass es keine Antworten auf diese Fragen gab. Vor wenigen Tagen hatte seine Tochter Jenny plötzlich beim Abendbrot wissen wollen: »Warum müssen die Menschen eigentlich sterben, Papa?« Er hatte überlegt, wie er antworten sollte. Da weder er noch seine verstorbene Frau gläubig waren und Jenny auch nicht im christlichen Glauben erzogen hatten, fiel ihm eine einfache Erklärung schwer. Er hatte nicht antworten können, dass der liebe Gott das so
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