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Todesreigen

Titel: Todesreigen
Autoren: Jeffery Deaver
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Nachbarn bestätigt, dass sie zum Zeitpunkt von Harle Ebbers’ Tod mit ihnen telefoniert und sich nach Ron erkundigt hatte. Auch die Unterlagen der Telefongesellschaft hatten diese Anrufe belegt.
    Dann kam Harles Vater in Frage. Ron erinnerte sich an das, was der Mann ihm an jenem Abend anvertraut hatte. Doch Rons spektakulärer Abgang und wie er aus der Einfahrt geprescht war, hatte bei den Nachbarn der Ebbers für so viel Aufsehen gesorgt, dass mehrere neugierige Anwohner das Haus für den Rest des Abends beobachtet hatten und aussagen konnten, dass weder Harles Vater noch seine Mutter den Bungalow verlassen hatten.
    Ron hatte sogar die Theorie entwickelt, dass der Junge sich selbst umgebracht hatte. Vielleicht hatte er gewusst, dass Ron hinter ihm her war und in seinem psychotischen Zustand versucht, der Familie Ashberry einen Gegenschlag zu versetzen. Er hatte den Golfschläger gestohlen, war zur Bahnlinie gegangen, hatte sich selbst den Verstand aus dem Hirn geprügelt, den Schläger in Richtung des Sees geworfen und sich schließlich mit letzter Kraft auf die Schienen geschleppt, um dort zu sterben. Sein Verteidiger brachte diese Theorie ins Spiel, erntete beim Staatsanwalt und der Polizei aber nur Gelächter.
    Und dann war Ron in einem Geistesblitz die Lösung gekommen.
    Der Bruder des Mädchens in Connecticut! Des Mädchens, das Harles früheres Opfer gewesen war. Ron sah das Szenario vor sich: Der junge Mann war nach Locust Grove gekommen und hatte den Stalker verfolgt, weil er auf Rache sowohl wegen seiner Schwester als auch wegen der Prügel sann, die er selbst bezogen hatte. Der Bruder, der befürchtete, dass man Harle zurück in die Sicherheit der Anstalt schicken könnte, entschloss sich, schnell zu handeln, und war in den Schuppen eingebrochen, um sich eine Mordwaffe zu verschaffen.
    Auch diese Theorie hatte der Staatsanwalt nicht sonderlich gemocht und stattdessen seine Anklage unbeirrt weiter verfolgt.
    Jeder hatte Ron empfohlen, ein Geständnis abzulegen, was er, erschöpft von all den Beteuerungen seiner Unschuld, schließlich auch getan hatte. Es gab keinen Prozess; der Richter akzeptierte sein Geständnis und verurteilte ihn zu zwanzig Jahren. Nach sieben Jahren würde eine Freilassung auf Bewährung in Frage kommen. Seine heimliche Hoffnung bestand darin, dass der junge Mann in Connecticut seine Meinung ändern und die Tat doch noch gestehen würde. Aber bis zu jenem Tag würde Ron Ashberry Gast des Staates New York bleiben.
    Während er im Fernsehraum saß, Gwen auf dem Bildschirm anstarrte und dabei abwesend mit dem Reißverschluss seines orangefarbenen Overalls spielte, wurde Ron vage bewusst, dass ein Gedanke an ihm nagte. Aber was war es?
    Es ging um etwas, das Gwen der Interviewerin gerade eben gesagt hatte.
    Moment mal…
    Welche Bilder von ihr im Badeanzug?
    Er setzte sich auf.
    In Harles Schrank hatte Ron keine Fotos von ihr im Badeanzug gefunden. Ebenso wenig waren sie als Beweismittel vor Gericht aufgetaucht – schließlich war es nicht zum Prozess gekommen. Er hatte bisher nichts von Badeanzugfotos gehört. Falls es welche gab, wie hatte Gwen dann von ihnen erfahren?
    Ein schrecklicher Gedanke kam ihm, so schrecklich, dass er zum Lachen war. Doch er lachte nicht; es widerte ihn an, diesen Gedanken in Betracht zu ziehen – und die anderen Gedanken, die um ihn herum emporzuwuchern schienen wie hässliche Fingerhirse: Dass die einzige Person, die jemals gehört hatte, wie Harle Gwen mit der Vollmondgeschichte bedroht hatte, Gwen selbst war. Dass niemand je Harles Version der Geschichte gehört hatte – niemand, außer dem Psychiater in Garden City, der, wie Ron jetzt wieder zu Bewusstsein kam, den Jungen aus der Klinik entlassen hatte. Dass der junge Mann Ron gegenüber nichts anderes geäußert hatte, als dass er Gwen liebe und sie ihn – nichts Schlimmeres als das, was jeder andere verliebte junge Mann auch sagen würde, auch wenn man sein Verhalten ansonsten ziemlich beängstigend fand.
    Rons Gedanken rasten: Sie hatten Gwen einfach geglaubt, als sie erzählt hatte, wie Harle sich ihr vor acht Monaten auf dem Heimweg von der Schule genähert hatte. Und es dabei die ganze Zeit über für selbstverständlich gehalten, dass
er
Gwen gefolgt war und
sie
ihn in keiner Weise ermutigt hatte.
    Und ihre Unterwäsche?
    Konnte
sie selbst
ihm den Slip gegeben haben?
    In plötzlicher Wut sprang Ron auf; sein Stuhl kippte laut polternd um. Konnte es tatsächlich passiert sein – das, was er
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