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Todesregen

Todesregen

Titel: Todesregen
Autoren: D Koontz
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wird.
    Überrascht nahm Molly ein verwirrendes Gefühl des Andersseins wahr, das sie aus Träumen kannte, im Wachzustand jedoch noch nie gespürt hatte.
    Sie trat noch weiter vom Fenster zurück und bewegte sich dabei vorsichtig auf die Zimmertür zu, die in den Flur führte.

    Eine schleichende Unruhe erfasste sie Nerv für Nerv. Was ihr Angst machte, waren nicht die Kojoten auf der Veranda, sondern etwas, was sie nicht benennen konnte – eine so urtümliche Bedrohung, dass sie vom Verstand nicht erfasst und selbst vom Instinkt nur in groben Umrissen wahrgenommen wurde.
    Molly hielt sich vor Augen, dass sie zu alt war, um noch so leicht in Angstzustände zu geraten wie in ihrer Kindheit und Jugend, aber sie zog sich trotzdem bis an die Treppe zurück. Sie wollte ins Schlafzimmer zurückgehen und Neil wecken.
    Etwa eine Minute lang stand sie mit einer Hand auf dem Pfosten des Geländers da, lauschte dem Trommeln des Regens und überlegte, was sie sagen sollte, wenn sie ihren Mann wach gerüttelt hatte. Alles, was ihr einfiel, klang mehr oder weniger hysterisch.
    Sie hatte keine Angst, sich lächerlich zu machen. In sieben Ehejahren hatten sich beide oft genug zum Narren gemacht, um für immer auf die Nachsicht des anderen zählen zu können.
    Allerdings pflegte sie ein bestimmtes Selbstbild, das ihr in schwierigen Zeiten Kraft gab, weshalb sie sich immer bemühte, es möglichst nicht aufs Spiel zu setzen. Laut diesem Selbstverständnis war sie zäh, widerstandsfähig, schon als Kind durch schreckliche Erlebnisse abgehärtet, an Kummer gewöhnt und aufgrund ihrer Erfahrungen in der Lage, mit allem fertig zu werden, was das Schicksal ihr zumutete.
    Im Alter von acht Jahren hatte sie eine Szene extremer Gewalt erlebt und war wie durch ein Wunder mit dem Leben davongekommen. Jedes andere Kind hätte das in einer langjährigen Therapie verarbeiten müssen. Später, als sie gerade zwölf war, hatte ein unsichtbarer Dieb namens Lymphom ihrer Mutter mit lautloser Gewalt das Leben gestohlen.

    Ihr ganzes Leben lang war Molly nicht vor einer Wahrheit zurückgescheut, die den meisten Menschen bewusst ist, auch wenn sie sie geflissentlich unterdrücken: dass jeder Tag, jeder Augenblick unseres Lebens je nach unserer Einstellung entweder von der barmherzigen Duldung Gottes abhängt oder von den Launen eines blinden Schicksals und einer gleichgültigen Natur.
    Molly lauschte dem Regen. Das Rauschen hörte sich nicht gleichgültig an, sondern zielstrebig und entschlossen.
    Statt hinaufzugehen und Neil zu wecken, wandte sie sich von der Treppe ab. Die Fenster leuchteten noch immer schwach, als fingen sie den Widerschein des Nordlichts auf.
    Obwohl Mollys Unruhe sich allmählich in eine düstere Vorahnung verwandelte, ging sie über die Diele zur Haustür.
    Zu beiden Seiten der Tür waren hohe, schmale Seitenfenster eingelassen. Sie boten einen Blick auf die Veranda, die Molly bisher nur von ihrem Arbeitszimmer aus gesehen hatte.
    Die Kojoten waren noch immer unter dem Schutz des Dachs versammelt. Als Molly näher zum Fenster trat, wandten ihr einige der Tiere wieder den Blick zu.
    Ihr angstvolles Keuchen malte bleiche Schatten aufs Glas. Hinter dem Schleier dampfenden Atems sah Molly flehend leuchtende Augen.
    Unerklärlicherweise war sie davon überzeugt, dass sie die Tür öffnen und zwischen die Kojoten treten konnte, ohne von ihnen angegriffen zu werden.
    Selbst wenn sie womöglich nicht so hart im Nehmen war, wie sie meinte, impulsiv oder leichtsinnig war sie nicht. Sie besaß weder das fatalistische Temperament einer Schlangenbeschwörerin noch die Abenteuerlust von Leuten, die sich im Schlauchboot über reißende Stromschnellen tragen lassen.

    Als im letzten Herbst am Osthang des Bergzugs ein Waldbrand ausgebrochen war und gedroht hatte, die Kuppe zu überwinden und sich westwärts zum See hinunterzufressen, hatten Neil und Molly auf ihr Drängen hin zu den Ersten in der Gegend gehört, die sich mit den wichtigsten Habseligkeiten aus dem Staub gemacht hatten. Ein von Kindheit an geschärftes Bewusstsein für die Zerbrechlichkeit des Lebens hatte Molly vorsichtig und besonnen werden lassen.
    Beim Schreiben eines Romans hingegen vergaß sie oft jede Besonnenheit und vertraute ihrem Instinkt und ihrem Herzen mehr als ihrem Intellekt. Ohne Risiko brachte sie nichts Lesenswertes zustande.
    Wie sie nun im Schein des falschen Nordlichts in der Diele stand und in die ängstlichen Augen der Kojoten jenseits der Fenster schaute, kam
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