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Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)

Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)

Titel: Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)
Autoren: Bernd Franzinger
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Wochen
verlängert. Um die Stiftskirche herum waren alle Tische besetzt. Doch er hatte Glück,
denn als er vor dem Eiscafé Dolomiten eintraf, erhob sich wie auf Kommando ein junges
Pärchen von seinen Sitzen. Er nahm Platz und orderte einen Milchkaffee sowie ein
großes Spaghettieis.
    Gedankenversunken
beobachtete er eine Weile die vorbeieilenden Passanten. Als im Turm der Stiftskirche
die ersten Töne des Carillons erklangen, schloss er die Augen und lauschte andächtig
dem virtuosen Glockenspiel.
    Doch keine
Minute später riss ihn der gellende Schrei eines Säuglings abrupt aus seinem Musikgenuss.
Unwillkürlich wandte er den Kopf zur Lärmquelle hin, einem Kinderwagen, der drei
Tische von ihm entfernt in Richtung des Schillerplatzes abgestellt war. Sein Blick
hakte sich an einem bunten Mobile fest, das über dem strampelnden kleinen Quälgeist
herumbaumelte.
    Mit solch
einem nervigen Wackelding haben mich meine Eltern damals garantiert auch zwangsbeglückt,
zwecks intellektueller Frühförderung ihres einzigen Sprösslings, dachte der Mann.
Er kniff die Brauen so fest zusammen, dass sich über seinem Nasenrücken zwei tiefe
vertikale Furchen bildeten. Erinnern kann ich mich allerdings nicht an ein Mobile.
Merkwürdig.
    Na ja, vielleicht
haben mich meine bildungsbesessenen Alten ja auch damit verschont. Zumindest hing
keins über meinem Bettchen. Das weiß ich ziemlich sicher. Schließlich bezieht sich
meine erste bewusste Erinnerung auf ein Erlebnis, das ich als kleiner Wurm in meinem
Kinderbett hatte. Er seufzte tief. Tja, dieses schicksalhafte Ereignis hat meinen
weiteren Lebensweg entscheidend beeinflusst.
    Sein Gehirn
projizierte ihm die damalige Situation auf seine innere Leinwand.
    Er ist drei
Jahre alt, liegt auf dem Rücken in seinem Gitterbettchen und ist gerade wach geworden.
Verschlafen reibt er sich die Äuglein und schaut hinauf zur ausgeschalteten Deckenlampe.
Plötzlich entdeckt er etwas, das er noch nie zuvor gesehen hat: An der Kinderzimmerleuchte,
einer kitschigen weiß-blauen Schäfchenwolke, baumelt an einem dünnen Faden eine
Spinne.
    Fasziniert
begleitet sein Blick das Tier, das als lebendiges Pendel sanft hin- und herschwingt.
Wie an einem Kletterseil hangelt sich die kleine Spinne ein paarmal den Faden hinauf
und seilt sich anschließend wieder ab.
    Auf einmal
bleibt sie stehen und putzt sich. Fasziniert beobachtet er das achtbeinige Tier,
wie es sich immer weiter zu ihm herabsinken lässt. Er streckt die Händchen nach
ihm aus, möchte es näher betrachten und mit ihm spielen.
    Plötzlich
ein lautes Klatschen – und alles ist vorüber. Seine Mutter, eine ungewöhnlich furchtlose
und resolute Frau, hat die kleine Spinne zwischen den Handflächen zerquetscht. Während
sie einen wüsten Fluch ausstößt, öffnet sie die Hände und entfernt angewidert die
leblose Masse mit einem Papiertaschentuch.
    Dieser Anblick
schockt ihn dermaßen, dass er sich weder bewegen noch schreien kann. Erst nachdem
seine Mutter den Raum verlassen hat, löst sich seine Schockstarre langsam. Er drückt
den Kopf ins Kissen und weint bitterlich.
    Wie mit
einem rotglühenden Brandeisen hatte sich dieser barbarische Akt tief in seine Seele
eingebrannt. Auch heute noch begann sofort eine explosive Mischung aus Abscheu und
Wut in ihm zu brodeln, wenn er sich daran erinnerte, wie seine Mutter, ohne mit
der Wimper zu zucken, ein wehrloses Gottesgeschöpf getötet hatte.
    An diesem
Morgen hatte er natürlich nicht ahnen können, dass dieser scheinbar lapidare Vorfall
geradezu schicksalhafte Bedeutung für sein weiteres Leben gewinnen würde. Aber heute
wusste er, dass dieses Erlebnis eine Initialzündung war. Denn an diesem Tag erwachte
seine leidenschaftliche Liebe zu Spinnen. Fortan war er regelrecht besessen von
diesen feingliedrigen Tieren, die eine geradezu magische Anziehungskraft auf ihn
ausübten.
    Während
andere Kinder draußen herumtobten, spielten oder Schlitten fuhren, verzog er sich
in sein Zimmer zu seinen Spinnentieren. Er beobachtete sie, fütterte sie und spielte
mit ihnen. Stundenlang, tagaus, tagein.
    Seine Eltern
unternahmen alles Mögliche, um ihm diese ungewöhnliche Marotte auszutreiben. Sie
erließen Verbote, schlossen die Terrarien im Keller ein oder brachten sie sogar
einmal in einer Nacht- und Nebelaktion in den Zoo.
    Aber er
wehrte sich gegen diese barbarische Aktion: Zuerst riss er die geliebten Geranien
seiner Mutter aus den Blumentöpfen und zertrampelte sie vor ihren Augen, dann
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