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Todesnähe

Todesnähe

Titel: Todesnähe
Autoren: P. J. Tracy
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tötete, in die Augen sah. Wie sonst sollte die Ehre gewahrt bleiben? Aus der Ferne zu töten war ebenso unvorstellbar wie feige, und in Eugenes ganz speziellem Fall, mit seiner verminderten Sehfähigkeit, auch noch unverantwortlich. Er musste ganz nah heran, um sicher zu sein, dass er den Feind tötete und nicht einen seiner Brüder. Daher das Messer.
    Er überlegte, wie viele Krieger jetzt wohl in den Bäumen kauerten und ihre Waffen direkt auf die Nichtsahnenden gerichtet hielten, die unter ihnen dahinschlichen. Ganz gerecht war das ja nicht, es war, als würde man auf nichtsahnende Fische in einem Wasserfass schießen. Dazu war Eugene weder fähig noch bereit. Er würde diesen verabscheuungswürdigen Kerlen, die das Leben nicht ehrten, von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten und ihnen sanft, aber voller Freude die Kehle durchschneiden.
    Er war nur ein einfacher Buchhalter mit einer dicken Brille auf der Nase, doch sein Augenmaß stimmte, als er sich auf den Mann unter seinem Ausguck herabfallen ließ und ihm die Kehle durchschnitt. Das Blut floss ihm als roter Strom über die Hand. Eugene wischte die Todesflüssigkeit mit etwas Schnee wieder ab. Keine Sekunde später hörte er eine Gewehrsalve und spürte den heißen Schmerz am Rücken, zwischen den Schulterblättern. Noch im Fallen, mit dem letzten Schlag seines zerfetzten Herzens, überließ er sich dem, was vor ihm lag. Es war mit Sicherheit besser als das Dasein als Buchhalter.

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KAPITEL 49
    E s war nur eine kurze Salve, ein ganzes Stück von der Jagdhütte entfernt, doch der Lärm hallte erschreckend klar durch den schneestillen Wald.
    Roadrunner, der im hinteren Teil des Hauses in der Küche postiert war, fuhr so abrupt hoch, dass sein magerer Körper fast Gefahr lief, durch die Heftigkeit der Bewegung zu zersplittern wie ein Stock in der Hand eines Riesen.
    Den ganzen Tag schon nagten die Sorgen an ihm, doch wie real die Gefahr tatsächlich war, wurde ihm erst klar, als er die Schüsse hörte. Jetzt war auch die Angst real, sie legte sich ihm ums Herz und drückte mit unbändiger Kraft zu.
    Roadrunner hielt sein Gewehr mit beiden Händen umklammert. Er fühlte sich äußerst unwohl damit. Mit kleinen Feuerwaffen konnte er bestens umgehen, und auf dem Schießstand traf er erstaunlicherweise jedes Mal ins Schwarze. Aber das hatte auch eher etwas von einem Videospiel, seine kleine .22er wog kaum mehr als ein Joystick und fühlte sich nicht sonderlich todbringend an. Dieses Zwölfkalibergewehr aber war schwer, der lange Lauf unhandlich, und das Wissen um die Zerstörung, die es anrichten konnte, ließ sich nicht ausblenden.
    Roadrunner schloss die Augen. Er fröstelte, und zum ersten Mal in seinem Leben sehnte er sich nach einer Droge, die die Angst verschwinden ließ.
     
    John saß im Zimmer des Chiefs im nördlichen Teil der Jagdhütte, gleich neben dem großen Fenster, eine entsicherte 9-Millimeter in der Hand. Er war kein Kämpfer und erst recht kein Superheld, so gern er das auch gewesen wäre. Doch diesmal ging es darum, die einzigen Menschen zu schützen, die ihm im Leben etwas bedeuteten, und er war so entschlossen wie nie zuvor.
    Als er die Schüsse hörte, wurde ihm mulmig zumute, doch seine Hand blieb ruhig, und er zögerte keine Sekunde. Das Feuer kam vom westlichen Teil des Hauses her, wo Grace und Annie postiert waren. Sofort sah er die großen Fenster dort vor sich, Annie in ihrem albernen Federkleid, wie sie mit der schweren Schrotflinte hantierte, mit der Claude sie ausgestattet hatte, und Grace, unerschütterlich und seltsam unbesiegbar in ihrer kühlen Entschlossenheit, mit der sie auf dem Boot ohne Zögern zwei Männer erschossen hatte.
    Das Herz ging ihm fast über vor Zärtlichkeit für diese Menschen. Es war ein ungewohntes Gefühl, das er erst spät im Leben kennengelernt hatte, und es erfüllte ihn mit einer stillen Freude. Rasch lief er in die Küche hinüber, wo Roadrunner zitternd und tapfer stand.
    John lächelte ihm zu und legte ihm eine Hand auf die knochige Schulter. «Die Schüsse kommen von vorne, Roadrunner. Grace und Annie sind allein im Wohnzimmer. Kümmer dich um sie, ich vertraue dir voll und ganz. Ich gebe euch Rückendeckung.»
    Roadrunner atmete flach, er fand kaum genug Luft zum Ausatmen. «Ich werde dich nicht enttäuschen.»
    «Das weiß ich doch.» Johns Lächeln wurde breiter, und irgendwo darin fand auch Roadrunner die Sicherheit, dass alles gut werden würde.
    Annie war immer wieder
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