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Todesnähe

Todesnähe

Titel: Todesnähe
Autoren: P. J. Tracy
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Stiefel hindurch und Zentimeter für Zentimeter den Körper hinauf in ihr Gesicht, bis jeder einzelne Nerv erstorben war. Da war so viel Blut. Zu viel, als dass noch Leben möglich war.
    Ich muss da nicht runter. Ich brauche die Realität nicht aus der Nähe zu sehen, um zu wissen, dass sie real ist.
    Doch erstaunlicherweise bewegten sich ihre erstarrten Beine ganz gegen ihren Willen und trugen sie hin zu dem, was sie nicht sehen wollte. John lag mit dem Gesicht im Schnee, sie erkannte ihn nur an seinen Kleidern und dem langen grauen Pferdeschwanz, der zur Seite gefallen war und das vergossene Blut aufsog, wie um es wieder zurückzuleiten in den reglosen, totenstillen Körper.
    Wie ferngesteuert kniete Grace nieder, zog die Handschuhe aus und legte zwei Finger dorthin, wo die Halsschlagader hätte pochen müssen. Lange hoffte sie auf den Puls, der nie wieder schlagen würde, dann stand sie auf und warf mit starrer, ausdrucksloser Miene einen letzten Blick auf den Toten. So zahlreich und heftig waren die Gefühle, dass es ihr vorkam, als empfände sie gar nichts.
    Sie sah John wieder vor sich, sicher und breitbeinig auf dem Teakholz-Deck seines Bootes, wie er in die karibische Sonne blinzelte und die Flagge einholte. Sein alberner Pferdeschwanz flatterte im Abendwind.
    Das war John. Daran wollte sie sich erinnern.

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KAPITEL 50
    F ast zwei Stunden lagen Gino und Magozzi jetzt schon reglos auf dem Bauch. Die Sonne war fast untergegangen, und ringsherum zog die klirrende Kälte der Nacht heran.
    Gino fand den Einsatz fast so langweilig wie eine Beschattung – eigentlich sogar noch schlimmer, weil man sich den Hintern abfror und es nichts zu essen gab. Gerade schwelgte er in Gedanken an eine Salami-Pizza, mit geschmolzenem Mozzarella, der Fäden zog, da tippte ihm Magozzi auf die Schulter und reckte den Daumen nach oben.
Hinsetzen
, sagte der Daumen, und Gino begriff sofort. Wenn man auf dem Bauch lag, konnte die Kälte schneller in den Körper dringen. Sie mussten sich setzen, damit die Beine eine Barriere zwischen den eisigen Holzplanken und ihren Organen bilden konnten.
    Gino hatte sich gerade zum Sitzen hochgequält, als erste Schüsse durch den Wald hallten, und plötzlich war der ganze Albtraum real.
    Angst war Gino nicht fremd. Jeder, der glaubte, als Polizist gewöhne man sich an die ständige Gefahr, hatte schlicht und einfach einen Vogel. Die Herzfrequenz beschleunigte jedes Mal auf Überschallgeschwindigkeit, wenn bewaffnete Verbrecher im Spiel waren, und man versuchte, sich zu erinnern, wo man sein Testament aufbewahrte. So fühlte sich Angst an. Aber das hier war anders, eine reine, nackte, lähmende Panik, bei der sich einem der Magen zusammenzog und der kalte Schweiß ausbrach. Gino warf einen Blick zu Magozzi hinüber und fragte sich, ob er selbst seine Augen wohl genauso weit aufriss.
    Man konnte Fahnen schwenken und die Truppen, die in den Krieg zogen, anfeuern, so viel man wollte: Was sie durchmachten, das begriff man erst, wenn man es selbst erlebte. Und das hier war ja nicht einmal der Ernstfall, sondern nur ein Vorgeschmack. Soldaten hatten so etwas tagtäglich.
    Weder Gino noch Magozzi hatten je einen Kriegseinsatz mitgemacht, und auch ihre Zeit als Streifenpolizisten hatte sie auf so etwas nicht vorbereitet. Das waren keine vollgepumpten Junkies, die mit einer .22er wedelten, das war eine gottverdammte Armee aus gottverdammten Terroristen, die nur aus einem einzigen Grund hier waren: um zu töten.
    Sie robbten jeder zu einer Seite und spähten über den Rand ihres Ausgucks, die Waffen im Anschlag.
    Können Sie einen Indianer von einem Terroristen aus dem Nahen Osten unterscheiden?
Magozzi hatte die Stimme des Chiefs wieder im Ohr und dachte: Mein Gott, das will ich hoffen.
    Auf der anderen Seite des Ausgucks saß Gino wie festgefroren, das Gewehr in der Hand. Eine geschlagene halbe Stunde lang harrte er in dieser Haltung aus, bis er das Gefühl bekam, mit dem Wald ringsum zu verschmelzen. Immer wieder erklangen Gewehrsalven, doch es war unmöglich zu wissen, was da draußen vorging. Und dann, plötzlich, wurde es still. Völlig still. Für eine halbe Ewigkeit.
    Eine Viertelstunde lang atmeten sie flach, und trotz der Kälte stand ihnen der Schweiß auf der Stirn. Sie hörten die Schritte bereits, bevor sie den Mann sahen. Magozzi spähte zwischen den Bäumen hindurch, sah die Gestalt, die im Halbdunkel näher kam, und schaute durch das Zielfernrohr, den Finger zitternd am
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