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Todesnähe

Todesnähe

Titel: Todesnähe
Autoren: P. J. Tracy
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ähnlich sie sich waren, fast bis aufs Pfund und auf den Zentimeter genau, nur dass Harley, was Alter und Muskelmasse betraf, etwas im Vorteil war. Zudem hatten sie beide schwarzes Haar, einen dunklen Teint und die hohen Wangenknochen, die für Indianer aus dieser Gegend typisch waren. Sie hätten problemlos als Brüder durchgehen können. Vielleicht waren sie ja sogar irgendwie verwandt? Ganz einfach ließen sich die Erbanteile bei keiner Rasse bestimmen, am allerwenigsten bei den Indianern und ihrer langen Vergangenheit mit den Weißen. Zahllose Paarungen freiwilliger und unfreiwilliger Art waren über die Jahrhunderte hinweg undokumentiert geblieben.
    «Willst du da noch länger rumstehen, Claude, und uns die ganze Arbeit machen lassen?»
    «Genau das hatte ich vor. Ihr zwei starken Männer tragt die Waffen, ich nehme die Ersatzmunition.» Immer noch erstaunt über Harleys Ähnlichkeit mit dem Chief, musterte Claude ihn genauer. «Haben Sie eigentlich indianische Vorfahren, mein Junge?»
    Die Frage überraschte Harley ein wenig. «Sie sind nicht der Erste, der mich das fragt. Aber die Antwort ist: Ich weiß gar nichts über meine Familie.»
    «Natürlich haben Sie Indianerblut», meinte der Chief. «Kein halbwegs zurechnungsfähiger Chimook hängt mit Gesindel wie diesen Typen aus Bad River rum, wenn er nicht ein paar Chromosomen mit ihnen teilt.»
    Die Frotzelei bot ein willkommenes Ventil für die aufgestaute Beklommenheit. Sie mussten alle drei lachen, trotz allem, was ihnen unmittelbar bevorstand: bewaffnet durch den Wald zu schleichen und sich gegen böse Menschen zu verteidigen, die nichts anderes im Sinn hatten, als den Waldboden mit ihren Innereien zu verzieren. Doch das unbehagliche, nervöse Gelächter erstarb rasch wieder, und sie konzentrierten sich schweigend auf ihre Aufgabe.
     
    Der Chief steckte Magozzi und Gino in Tarnkleidung aus dem jagdhütteneigenen Schrank und führte sie zu einem Baum, der kaum fünfzig Meter von der Eingangstür der Hütte entfernt stand. Noch ehe sie drei Schritte von der Veranda weg waren, fror Gino wie ein Schneider. Und als der Chief vor einem Baumstamm stehen blieb, der, wie Gino später erfuhr, zu einer fünfzigjährigen Eiche gehörte, spürte er sein Gesicht nicht mehr. Aus dem Eisregen war zwar schon vor einiger Zeit Schneefall geworden, doch ein leichter Wind senkte die gefühlte Temperatur auf ein Level, das deutlich jenseits von Ginos persönlicher Schmerzgrenze lag.
    Er hatte gewisse Vorstellungen davon, wie ein Ausguck in einem Baum auszusehen hatte, und soweit er das überblicken konnte, gab es in diesem Baum nichts dergleichen. Nur eine Art Leiterattrappe mit hauchdünnen, kaum mehr als vier Zentimeter breiten Sprossen, die in die Äste hinaufführte. Nie im Leben konnten diese winzigen Holzstäbchen das Gewicht eines ausgewachsenen Mannes tragen! Gino ließ seinen Blick an der Leiter entlang nach oben wandern, immer weiter und weiter in die Höhe, bis ihm die Kapuze seines Tarnanoraks vom Kopf glitt und sein Haupt den Schneeflocken preisgab.
    Ach du Scheiße
, dachte er, als er endlich das halbfertige Baumhaus entdeckte, das aussah wie von ein paar schwachsinnigen Pfadfindern ohne jedes Gefühl für Schwerkraft und Mindestgewicht konstruiert. Das verdammte Ding befand sich mindestens sechs Meter über dem Boden, und es hatte nicht mal ein Geländer! Magozzi kraxelte bereits wie ein Affe das Leiterimitat hinauf, beide Waffen über der Schulter. Doch Gino blieb einfach unten stehen, die Beine fest auf den Erdboden gestemmt, und schüttelte nachdrücklich den Kopf. Da spürte er, wie der Chief ihn näher an den Baumstamm schob, und gleich darauf packten ihn zwei große Hände am Hintern und drängten ihn nach oben.
    «Na, kommen Sie, Detective. Wow! So ein Arsch ist mir ja nicht mehr untergekommen, seit ich mich selbst mal versehentlich im Klappspiegel gesehen habe.»
    Gino warf ihm einen bösen Blick zu. «Wir sollen nicht reden, aber Sie dürfen blöde Witze über meine empfindlichsten Stellen reißen, oder was?»
    Der Chief grinste zu ihm hinauf. «Manchmal ist es eben stärker als ich. Das ist eine ganz normale Leiter, Rolseth. Nehmen Sie einfach eine Sprosse nach der anderen, bis Sie oben sind.»
    Magozzi lag bäuchlings auf dem vereisten Boden des Ausgucks und sah über den Rand hinweg zu, wie Gino schwankend zu ihm heraufkletterte. Der Mann hatte einfach ein Problem mit Höhen. Zu Hause stellte er seine Kinder an, um die Dachrinne zu säubern, und als
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