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Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)

Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
Autoren: Ragnar Jónasson
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ziemlich unfreundlich.
    »Auf dem Hof ist früher viel passiert, das nie ans Licht gekommen ist.« Jónatan versuchte, seine Worte sorgfältig zu wählen. »Elli musste einiges mitmachen, das … tja, das bestimmt Einfluss auf seine weitere Entwicklung hatte.«
    »Einiges mitmachen?«, fragte Tómas verwundert.
    »Die Jungen, die dort waren, darunter auch ich, mussten viel ertragen«, sagte Jónatan. Er redete langsam, und es fiel ihm schwer, die Dinge eindeutig beim Namen zu nennen.
    »Moment mal, wollen Sie damit sagen, dass ihnen Gewalt angetan wurde?« Tómas klang jetzt viel aufmerksamer.
    »Ja.«
    »Verdammt nochmal. In welcher Form? Wurden die Jungen sexuell missbraucht?«, fragte er scharf.
    »Äh, nein, zum Glück nicht«, antwortete Jónatan leicht irritiert. »Es war eine andere Form von Gewalt, seelisch und körperlich.«
    »Und warum zum Teufel erzählen Sie das erst jetzt?«, fragte Tómas erregt.
    »Ich … ich …« Jónatan spürte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Er hatte als Erwachsener noch nie geweint, aber dieses Gespräch war schwieriger, als er gedacht hatte. »Ich konnte natürlich nichts sagen, solange meine Eltern noch lebten, außerdem dachte ich, es wäre nicht gut, in der Vergangenheit herumzustochern.«
    »Elías war also Opfer dieser Gewalt?«
    »Ja, und zwar sehr heftig.« Jónatan schnappte nach Luft, machte eine kurze Pause, um wieder Kraft zu sammeln und weiterzusprechen. »Er kam im zweiten Sommer, nachdem sie mit den Sommercamps angefangen hatten, zu uns. Sommercamps, sie nannten es Sommercamp.« Jónatan lachte, ein schmerzliches Lachen. »In Wahrheit war es die Hölle. Im ersten Sommer mussten die Jungen, es waren drei oder vier, Tag und Nacht arbeiten, wurden geschlagen, wenn sie nicht gehorchten, und natürlich eingesperrt. Später wurde ihnen Schlimmstes angedroht, wenn sie davon erzählen würden. Ich habe sogar gehört, dass einigen gesagt wurde, wenn sie im nächsten Sommer nicht wiederkämen, müssten ihre Geschwister oder ihre Eltern in der Stadt dran glauben. Das war auch bei Elli so, und er kam im nächsten Sommer wieder.«
    »Geschlagen und eingesperrt?«
    »Elli hatte einen starken Charakter«, erzählte Jónatan weiter und schien jetzt ganz in seiner eigenen Welt zu sein. »Am ersten Tag war er forsch und selbstbewusst, mit sechs oder sieben Jahren. Das wurde natürlich nicht geduldet. Aber er hatte einen wunden Punkt, er hatte Angst vor unserem Hund. Vielleicht war er mal von einem Hund gebissen worden, wer weiß. In der ersten Nacht musste er in einem extra Zimmer schlafen, in meinem. Ich sollte mit den anderen Jungen im Schlafsack in der Garage schlafen. Ich sträubte mich ein bisschen und weiß noch, dass ich eine Zeitlang im Dunkeln im Flur saß und nicht rausgehen wollte. Da sah ich, was passierte.«
    Jónatan hielt inne und fuhr dann fort: »Elli wurde in dieser Nacht mit dem Hund eingesperrt. Er schrie die ganze Nacht vor Angst, dabei war es ein lieber und guter Hund. Bestimmt hat niemand ein Auge zugemacht, seine Schreie drangen durchs ganze Haus. Am nächsten Morgen verhielt sich Elías ganz anders. Unterwürfig und gehorsam. Aber das reichte nicht. Wir mussten uns immer an die Regeln halten, und zwar an ungeschriebene Regeln. Es war unmöglich, sie nicht zu brechen. Unmöglich!« Jónatan schrie fast ins Telefon.
    »Und was passierte, wenn man diese Regeln brach? Wurde man dann geschlagen?«, fragte Tómas.
    »Ja, manchmal, aber das Schlimmste war, wenn man in den Kartoffelkeller gesperrt wurde. Da musste ich viele Nächte ausharren. Die Tür war massiv, und es war unmöglich auszubrechen. Immerhin war unten ein kleiner Spalt, durch den Sauerstoff reinkam. Durch den fiel in den hellen Sommernächten auch immer ein bisschen Licht in den Raum, aber sonst war es fast ganz dunkel. Seitdem kann ich keine hellen Nächte mehr ertragen, sie wecken sofort Erinnerungen. Im Winter wurde ich nie in den Kartoffelkeller gesperrt, das wäre zu kalt gewesen. Das ging nur im Sommer, wenn wir Gäste aus der Stadt hatten.« Er stöhnte.
    »Das ist ja schrecklich«, sagte Tómas erschüttert. »Ganz schrecklich. Warum zum Teufel hat Ihre Mutter nichts dagegen unternommen? Wer weiß, was für einen Schaden Ihr Vater damit angerichtet hat.«
    Jónatan holte tief Luft.
    »Nein, hören Sie … Sie haben mich völlig falsch verstanden. Entschuldigung, ich habe mich nicht klar genug ausgedrückt. Mein Vater war nicht dafür verantwortlich, es war meine
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