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Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)

Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
Autoren: Ragnar Jónasson
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verschoben, sobald etwas Wichtigeres passierte.
    Ísrún arbeitete seit zehn Jahren in der Redaktion, allerdings mit Unterbrechungen. Sie hatte nach dem Abitur als Aushilfe dort angefangen und während ihres Psychologiestudiums weitergemacht. Nach ihrem Bachelorabschluss hatte sie ein Jahr lang in einer Klinik gearbeitet, war aber in die Redaktion zurückgekehrt, weil sie den Nervenkitzel vermisst hatte. Dann war sie zum Masterstudium nach Dänemark gegangen und hatte anschließend wieder als Psychologin gearbeitet, diesmal in Akureyri. Eineinhalb Jahre waren vergangen, seit sie im Krankenhaus in Akureyri gekündigt hatte, nach Reykjavík gezogen war und sich wieder bei der Nachrichtenredaktion beworben hatte. Viele ihrer alten Kollegen hatten inzwischen aufgehört, und neue Gesichter waren hinzugekommen, aber ein paar waren immer noch da. Als Ísrún sich damals nach dem Abitur für einen Job bei den Fernsehnachrichten beworben hatte, hatte sie nicht wirklich mit einer positiven Antwort gerechnet. Sie hatte sich erst durch die berüchtigte Journalistenprüfung geschlagen und musste dann noch in einem Tonstudio und vor einer Kamera in einem Filmstudio Nachrichten vorlesen. Dann hatte sie gewartet und gehofft, war jedoch davon ausgegangen, dass sie wegen ihrer Brandnarbe im Gesicht keine Chance hätte, auf den Bildschirm zu kommen. Die Narbe stammte von einem Unfall, als sie erst ein paar Monate alt gewesen war und ihrer betagten Tante kochendheißer Kaffee aus der Hand gerutscht war. Der Fleck zog sich über ihre Wange, und obwohl sie mit den Jahren gelernt hatte, ihn mit Make-up abzudecken, war er unübersehbar. Vielleicht war die Narbe ja der Grund dafür, dass sie sich überhaupt beim Fernsehen beworben hatte: um der Welt, oder zumindest den Fernsehzuschauern in Island, zu zeigen, dass das für sie kein Hinderungsgrund war.
    Ísrún reckte sich. Sie wohnte alleine, hatte schon seit zwei Jahren keine Beziehung mehr. Das war die bisher längste Periode am Stück als Single, davor war sie meistens mit jemandem zusammen gewesen, und ihre längste Beziehung hatte fünf Jahre gedauert, war aber in die Brüche gegangen, als sie nach Dänemark zog. Ihr damaliger Freund hatte nicht mitkommen und auch nicht auf sie warten wollen. Das war’s dann gewesen.
    Ísrún arbeitete viel lieber beim Fernsehen als im psychologischen Bereich. Ihr Interesse am Studium hatte mit der Zeit nachgelassen, aber sie hatte den Master aus reinem Trotz doch noch gemacht. Immerhin war das Studium beim Journalismus hilfreich. Die Arbeit in der Redaktion gab ihr die Möglichkeit, jeden Tag etwas Neues zu erleben und mit interessanten Leuten zu sprechen, und ab und zu hatte sie sogar mal eine Exklusivmeldung. Das waren die besten Tage. Das Einzige, was sie an dem Job auszusetzen hatte, war der Zeitdruck. Auch wenn der Stress auf gewisse Weise süchtig machte, konnte man bei dieser Arbeitsweise nicht mehr vernünftig recherchieren. Unterbesetzung und der enorme Druck, vor Tagesablauf Meldungen zu liefern, hatten zur Folge, dass es ein seltener Luxus war, sich über längere Zeit ausgiebig in ein Thema zu vertiefen.
    Die Fliege summte immer noch irgendwo im Zimmer herum, und Ísrún versuchte vergeblich, die Augen noch einmal zuzumachen. Warum war das verdammte Viech nicht draußen geblieben und hatte sie ausschlafen lassen?
    Ísrún kam auf die Beine. Wenn sie schon mal wach war, konnte sie die Zeit auch nutzen. Ein paar Minuten später stand sie im Trainingsanzug draußen auf dem Bürgersteig. Sie musste sich viel bewegen. Sie atmete die Morgenluft ein, doch die war nicht wie sonst morgens frisch, sondern wirkte verschmutzt. Kein Wunder, dass die Fliege im Haus Zuflucht gesucht hatte.
    Ísrún wohnte in einem Mehrfamilienhaus am Hagatorg in einer kleinen Zweizimmerwohnung und joggte normalerweise, wenn ihre Zeit es zuließ, am Meer entlang. Sie beschloss, sich auch diesmal von der schlechten Luft nicht abhalten zu lassen. Dachte an den bevorstehenden Tag, der bestimmt ruhig und ereignislos werden würde.
    Danach brachte ihre alte rote Karre sie pünktlich zur Arbeit, ein Auto, das schon lange in Familienbesitz war und das ihr Vater ihr zu ihrem zwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Der Wagen galt inzwischen offiziell als Oldtimer, reichte ihr aber vollkommen. Auf dem Weg zur Arbeit war nicht viel Verkehr. Einer der Vorteile an diesem Job war, dass man erst um halb zehn anfangen musste. Andererseits kam sie oft erst nach den Abendnachrichten und
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