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Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)

Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
Autoren: Ragnar Jónasson
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Grundschule gehen. Heute ist der letzte Schultag, und man hat uns gebeten, irgendwelche Urkunden zu überreichen. Eigentlich wollte ich selbst hingehen, aber das schaffe ich wohl nicht.«
    Hlynur spürte, wie sein Herz schneller schlug. Kalter Schweiß brach ihm aus. Das konnte er nicht.
    »Kann Ari das nicht machen?«, murmelte er.
    »Wie, was meinst du damit? Ari und ich sind heute beschäftigt, das habe ich doch schon gesagt«, antwortete Tómas ziemlich barsch.
    Hlynur wollte etwas entgegnen, brachte aber kein Wort heraus. Schließlich sagte er: »Ich, äh, ich bin nicht gut in so was. Das sagen wir lieber ab.«
    »Das sagen wir nicht ab, verdammt nochmal! Du gehst da hin und basta!« Tómas marschierte aus dem Raum.
    Hlynur nickte nur.
    Er ließ den Kopf hängen, wäre am liebsten wieder nach Hause gegangen, hätte sich ins Bett gelegt und ausgeruht. Er arbeitete seit sechs Jahren mit Tómas in Siglufjörður zusammen, hatte viel mehr Erfahrung in der Polizeiarbeit als Ari und trotzdem den Eindruck, dass sich die Machtverhältnisse in den letzten Monaten verschoben hatten. Tómas schien Ari aus unerfindlichen Gründen mehr zu vertrauen. Das würde er Ari noch heimzahlen, denn Hlynur war alles andere als zufrieden mit dieser Entwicklung. Er musste allerdings zugeben, dass sich Ari in der letzten Zeit sehr bemüht und die Arbeit gut im Griff hatte, auch wenn die Fälle, die auf ihrem Tisch landeten, eher eintönig waren und keinen großen Spielraum ließen, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
    Andererseits hatte er selbst in den letzten Monaten nicht viel zustande gebracht, seit diese verdammten E-Mails aufgetaucht waren. Scheiße.
    »Du bist nicht mehr richtig bei der Sache«, hatte Tómas ihm kurz nach Neujahr gesagt. Sie waren zu zweit auf der Wache gewesen und hatten in der Kaffeestube gesessen. Hlynur wusste aus Erfahrung, dass Tómas manchmal sehr direkt sein konnte und nicht lange um den heißen Brei herumredete. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte, war geradezu erschrocken. Kurz vorher hatten sie noch über alltägliche Dinge gesprochen. Es war damals draußen ziemlich ungemütlich gewesen, und dasselbe galt für die Kaffeestube auf der Wache, die alles andere als heimelig war. Im Spülbecken stapelten sich schmutzige Tassen, und neben der Kaffeekanne lagen zwei geöffnete Packungen Schokokekse. Auf dem Tisch stand ein abgelaufener Kalender, den irgendeine Bank in Reykjavík zu Zeiten der Hochkonjunktur herausgegeben und den noch niemand weggeworfen hatte – ein Andenken an vergangene Zeiten.
    Hlynur hatte Tómas schließlich angeschaut und gesagt: »Nicht richtig bei der Sache? Was meinst du?« Dabei wusste er es genau.
    »Interessierst du dich noch für deine Arbeit? Du wirkst manchmal so abwesend, gedankenversunken, nicht so motiviert wie früher«, sagte Tómas, unnötig direkt.
    »Ich versuche, mich zusammenzureißen«, murmelte Hlynur.
    »Stimmt was nicht?«
    »Nein«, sagte er und hoffte, dass Tómas seine Lüge nicht durchschaute. Immerhin beließ er es dabei.
    Tómas wusste meistens, was los war.
    Natürlich war Hlynur nicht richtig bei der Sache.
    Es war jetzt gut ein Jahr her, seit die erste Mail gekommen war, wie aus heiterem Himmel. Hlynur hatte mit dem Laptop im Bett gesessen. Er wohnte in einer recht neuen Wohnung, mochte keine alten Häuser, in denen die Bodendielen knarrten. Dort fühlte er sich einigermaßen wohl. Die Wohnung hatte mehr Platz als er eigentlich brauchte, deshalb diente ein Zimmer immer noch als Rumpelkammer für Sachen, die er aus Reykjavík mitgebracht hatte, als er den Job in Siglufjörður angenommen hatte. Darin standen diverse Kisten mit Büchern, die er nie las, DVD s, die er nie anschaute, und Klamotten, die er nicht mehr anzog.
    Er war bei seiner Mutter in Kópavogur aufgewachsen, als jüngster von drei Brüdern. Seine Mutter hatte immer gearbeitet, tagsüber im Büro bei der Stadtverwaltung und abends in verschiedenen Jobs, meistens als Putzfrau. Er hatte sie nur selten gesehen, und sie war meistens todmüde gewesen, wenn sie mit den drei Jungen in der großen Hochhauswohnung am Abendbrottisch gesessen hatte. Montags gab es immer Schellfisch, daran erinnerte sich Hlynur gut, und es wurde stets selbst gekocht – für Fertiggerichte war kein Geld da. Die Familie erlaubte sich nicht viel Luxus.
    Hlynurs Vater hatte seine Mutter nach Hlynurs Geburt verlassen. Später fand Hlynur heraus, dass er getrunken hatte, oft über kürzere oder längere
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