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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist
Autoren: Andreas Gruber
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wischte sich über die Bartstoppeln. Seine Hände zitterten. Er hatte nichts mehr mit dem rüstigen Sechzigjährigen zu tun, der in seiner Freizeit immer noch an alten Zügen herumschraubte, sondern wirkte um Jahre gealtert.
    Entführt? Wer zum Teufel sollte Mutter entführen?
    Die Situation kam ihr bizarr vor. Vor zwei Tagen hatte sie mit ihrer Mutter zum Pilateskurs gehen wollen und ihr auf den Anrufbeantworter gesprochen. Und plötzlich stand ihr Vater, der fünfhundert Kilometer entfernt in Köln wohnte, vor ihr.
    Sabine zog das Diensthandy aus der Tasche und wählte die Nummer ihrer Mutter. Die Mobilbox sprang an. Sie wählte die nächste Nummer. Auf dem Festnetzanschluss aktivierte sich nach dem achten Klingelton der Anrufbeantworter.
    »Seit wann weißt du, dass Mutter entführt worden ist?«
    »Er hat mich vor achtundvierzig Stunden angerufen.«
    Er? Ungläubig sah sie ihren Vater an. »Du hattest Kontakt zu dem Entführer?« Sie steckte das Handy weg. »Hast du die Kölner Kripo informiert?«
    »Ich habe mit niemandem darüber gesprochen.«
    »Bist du wahnsinnig?«, entfuhr es Sabine. Sie durfte jetzt bloß nicht die Nerven verlieren. Von ihrem Job beim Kriminaldauerdienst wusste sie, dass Zeugen die einfachsten Fakten durcheinanderbrachten, sobald eine Flut von Fragen auf sie einprasselte. Trotzdem musste sie sich zusammenreißen, um nicht wild draufloszufragen.
    »Du steigst jetzt in den Wagen und erzählst mir alles der Reihe nach. Wir fahren auf meine Dienststelle.«
    »Nein! Er hat gesagt, er tötet sie, falls ich die Polizei einschalte.«
    Töten? Sabine sah sich auf der Straße um. Einige Autos fuhren an ihnen vorbei, nur wenige Passanten gingen auf dem Bürgersteig. Sie senkte die Stimme. »Glaubst du, dass er uns beobachtet?«

    »Ich weiß nicht … wahrscheinlich nicht mehr.«
    Nicht mehr!
    »Vater, bitte! Steig jetzt in den Wagen. Auf der Fahrt zum Revier erzählst du mir alles.«
    Widerwillig stieg er ein. Als sie losfuhr, schaltete sich automatisch der CD-Player ein. Eine sonore Erzählstimme drang aus den Boxen. Ein Hörbuch von David Safier, Jesus liebt mich. Sabine knipste das Gerät aus.
    Sie befanden sich schon auf der Rosenheimer Straße Richtung Isar, als sie kurz zu ihrem Vater rüberblickte. »Schnall dich bitte an.«
    Mit zittrigen Fingern zog er den Gurt aus der Rolle. »Der Mann hat mich vor zwei Tagen zu Hause angerufen. Er hat seine Stimme irgendwie elektronisch verstellt und gesagt: Herr Nemez, wenn Sie innerhalb von achtundvierzig Stunden herausfinden, warum Ihre Exfrau entführt wurde, bleibt sie am Leben. Wenn nicht, stirbt sie.«
    »Das waren seine Worte?« Es musste sich um ein Missverständnis handeln.
    Vater nickte. »Als einzigen Hinweis habe ich eine Schachtel vor meiner Wohnungstür gefunden. Darin lag ein kleines, schwarzes Tintenfässchen.«
    »Du hast es doch nicht angefasst?«
    »Natürlich schon. Ich habe es geöffnet. Es ist schwarze Tinte drin.«
    »Du hättest nichts berühren dürfen und mich sofort anrufen müssen. Wir hätten eine umfangreiche Suche eingeleitet.«
    Hätte, hätte, hätte …
    »Er hat gesagt, er tötet sie!«
    »Vielleicht stimmt das gar nicht, und jemand …«
    »Sabine!«, unterbrach er sie. »Ich habe ihre Stimme am Telefon gehört. Sie hat um Hilfe gefleht. Dann hat er sie weggezerrt.«
    Sabine schnürte es die Kehle zusammen. Das sah nicht gut aus. Mutter hätte Vater nie um Hilfe gebeten. »Versuch, dich zu erinnern. Wann genau laufen die achtundvierzig Stunden ab?«

    »Sie sind schon abgelaufen«, antwortete er leise.
    Sabine sah, dass er die Digitaluhr im Armaturenbrett suchte. »Er hat mich vor knapp fünfzig Minuten wieder angerufen und mir noch mal dieselbe Frage gestellt. Dann sagte er, die Frist wäre abgelaufen, und hat aufgelegt.«
    Sabine fuhr auf der Ludwigsbrücke über die Isar. Der Sonntagabendverkehr war nicht so zäh wie sonst, trotzdem nervten sie die langsam dahinzuckelnden Autos. Sie griff zum Walkie-Talkie und funkte ihr Revier an. Kolonowicz, der Nachtschichtleiter vom Kriminaldauerdienst, meldete sich mit sonorer Stimme.
    »Hallo Walter, Sabine Nemez hier«, unterbrach sie ihn. »Vor knapp neunundvierzig Stunden wurde eine Frau entführt. Hanna Nemez, sechsundfünfzig Jahre alt, wohnte bis vor zehn Jahren in Köln, seither wohnhaft in der Winzererstraße, Schwabing-West, ehemalige Grundschuldirektorin, jetzt im Ruhestand. Wir müssen sofort nach ihr fahnden.«
    Der Mann am anderen Ende sagte einen Moment lang
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