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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist
Autoren: Andreas Gruber
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Teddybären flogen zur Seite.
    »Was erzählst du uns morgen für eine Geschichte, Tante Bine?«, rief Kerstin aufgeregt.
    Sabine hasste es, »Tante« genannt zu werden. Das machte sie alt, und mit sechsundzwanzig Jahren war sie das bei Gott nicht. »Morgen habe ich keinen Nachtdienst. Da bin ich zu Hause und erhole mich von euch Gören«, antwortete sie.
    »Übermorgen!«, riefen die drei wie aus einem Mund.
    Die Töchter ihrer Schwester – vier, fünf und sieben Jahre – sahen mit den blonden Mähnen nicht nur wie drei Orgelpfeifen aus, sondern konnten auch richtige Nervensägen sein.
    »Übermorgen, Tante Bine, was erzählst du uns da?«, ließen sie nicht locker.
    Sabine ging zum Fenster. Der Horizont lag bereits im orange-blauen Dämmerlicht. Bald würde ihr Dienst beginnen. Die Münchner Frauenkirche war beleuchtet. Die Hauben der beiden kraftvollen Türme ragten in weiter Ferne über die Hausdächer. Plötzlich erfasste sie ein dumpfes Gefühl im Magen, als stürbe ein Teil von ihr ab. Sabine schluckte den bitteren Geschmack runter. Sie wusste nicht, warum, aber der Anblick der Kirche erinnerte sie an den Tod. Rasch zog sie den gelben Spongebob-Vorhang zu. »Nächstes Mal bekommen wir einen Auftrag vom Vatikan.«
    »Vom Papst?«, rief Fiona, die Älteste. »Warum?«
    Sabine wusste nicht, was mit ihr los war. Sie versuchte sich selbst aufzuheitern. »Bald ist Pfingsten. Der Papst reist viel herum und braucht unser Team für einen besonders schwierigen Security-Auftrag.«

    »Wo fahren wir hin?«
    »Fahren?« Sabine hob die Augenbrauen. »Wir fliegen! Und zwar mit den schnellsten Helikoptern, die wir haben. Neu entwickelt, in unserem Geheimlabor.«
    »Ist ja krass! Warum hat der Papst gerade uns gefragt?«
    Fiona stieß ihrer Schwester den Ellenbogen in die Seite. »Weil wir die beste Ausrüstung haben!«
    »Genau«, bestätigte Sabine. »Nachtsichtgeräte, Schutzwesten, Mikro-Funkgeräte.«
    »Wow!«, rief Fiona. Kerstin machte große Augen. Connies Mund stand offen.
    Es klopfte an der Tür, und Sabines Schwester lugte ins Kinderzimmer. »Schlafenszeit. Sagt gute Nacht zu Sabine.«
    »Übermorgen arbeiten wir für den Sabst!«, rief Connie, die Kleinste, aufgeregt.
    »Psst!« Sabine schüttelte unmerklich den Kopf. »Ein Geheimauftrag«, flüsterte sie. »Kein Wort zu eurer Mutter, sonst ist sie in Gefahr.«
    »Oh, krass!«, riefen die Mädchen.
    Sabine umarmte ihre Nichten und gab jeder einen Kuss. Dann schaltete sie das Licht aus, ließ die Tür einen Spaltbreit offen und ging zu ihrer Schwester in den Vorraum.
    Monika schüttelte mit gespielter Empörung den Kopf. »Was erzählst du denen nur immer für Geschichten?«
    »Sie lieben solche Storys.«
    »Ich weiß«, seufzte Monika. »Mit meinen Feen-, Elfen- und Prinzessinnen-Geschichten kann ich einpacken. Aber übertreib es nicht!«
    Obwohl Sabines um drei Jahre ältere Schwester schief am Türstock lehnte, war sie immer noch einen halben Kopf größer als sie. Kaum zu glauben, dass sie Schwestern waren. Sabine war zwar nur einen Meter sechzig groß, aber zum Glück hatte Gott sie mit einem trainierten, drahtigen Körper gesegnet. Sie nannte es ausgleichende Gerechtigkeit. Während ihre Schwester die Lehre als
Verkäuferin abgebrochen hatte und nun halbtags Audioguide-Kopfhörer an die Besucher des Stadtmuseums verteilte, war Sabine in ein Sportgymnasium gegangen und hatte bis heute nicht aufgehört zu trainieren. Joggen, Pilates und Mountainbiken. Einige Kollegen neckten sie – ob sie damit ihre Größe kompensieren wolle. Pfeif drauf! Sie musste in ihrem Job fit bleiben.
    Monika strich Sabine über die dunkelbraunen Haare und ließ eine gefärbte Strähne durch die Finger fließen. »Der silberne Streifen steht dir gut.«
    »Ich weiß, danke. Aus Marokko, von unserem letzten Einsatz mit dem Security-Team. Kerstin will auch eine.«
    »Oh Gott.« Als Monikas Blick auf das goldene Herz-Medaillon an Sabines Hals fiel, wurde sie ernst.
    Vaters Geschenk. Sabine trug es seit der Trennung ihrer Eltern vor zehn Jahren, als sie mit Mutter von Köln zurück nach München gezogen waren. Sie wusste, was in ihrer Schwester vorging. Seit der Scheidung ihrer Eltern hatte Monika kein gutes Haar an Vater gelassen und alles aus ihrem Leben verbannt, was sie an ihn erinnerte. Sie wollte einfach nicht verstehen, dass Sabine noch an ihrem Vater hing. Dabei war es so einfach: An einer Trennung trug nie einer allein die Schuld. Gerade Monika hätte das am besten begreifen
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