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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist
Autoren: Andreas Gruber
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behauptete. Allerdings hatte sie bis auf rasende Migräne keine Schmerzen. Was zum Teufel hatte er mit ihr vor?
    Als hätte er ihre Frage erraten, trat er einen Schritt näher. Ein greller Lichtring blendete sie. »Brandopfer sterben meistens, weil die Zellatmung versagt, sobald mehr als zwei Drittel der Haut zerstört sind. Damit dir nicht das Gleiche passiert, sind deine Hände und Füße in Müllsäcke gewickelt. Du trägst einen Regenmantel und eine alte Seglerhose.«
    In Carmens Kopf stoppten alle Gedanken. Schlagartig hatte der Unbekannte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
    »Die Kleider sind zwar nicht atmungsaktiv, aber zumindest Wasser abweisend. Das verhindert die Verätzung der Haut durch den scharfen Zement.« Er machte eine Pause. »Jedenfalls an den wichtigsten Stellen.«
    Wovon zum Teufel sprach der Kerl? Carmen versuchte, die Finger zu bewegen, den Kopf zu drehen und in den Nacken zu legen, doch ohne Erfolg.
    »Im Lauf der Zeit tritt allerdings ein gewisser Juckreiz auf, wenn sich Schweiß sammelt, Pilze und Parasiten bilden. Ich hoffe, du verfügst über ein gutes Immunsystem und benötigst kein regelmäßiges Medikament – denn das wirst du hier unten nicht bekommen. Du hast keinen freien Venenzugang mehr.«
    Carmen nahm täglich Blutdrucktabletten, etwas anderes jedoch nicht. Sie schluckte den galligen Geschmack runter und merkte, wie ihr Brustkorb zusehends eingeengt wurde. »Was …?«, krächzte sie.
    Seine Stimme klang gefühllos. »Habe ich endlich dein Interesse geweckt?«
    Sie antwortete nicht. Das alles ergab keinen Sinn. Doch er ließ ihr keine Zeit, einen klaren Gedanken zu fassen.
    »Ich werde dafür sorgen, dass du nicht an einer Nierenintoxikation stirbst.«
    Warum sollte sie an einer Nierenvergiftung sterben? Der Kerl
nahm Begriffe in den Mund, die sonst nur Ärzte oder Krankenpfleger verwendeten. Kannte sie ihn aus der Pathologie oder einem anderen Institut? Es gab immer wieder Berührungspunkte mit anderen Abteilungen. Womöglich war er einer der knapp zehntausend Angestellten des Allgemeinen Krankenhauses Wien und ihr dort schon einmal über den Weg gelaufen.
    Wie viel Zeit war verstrichen, seit er ihr das Anästhetikum injiziert hatte? Acht Stunden? Bestimmt wurde im Krankenhaus bereits nach ihr gesucht.
    »Siehst du …« Er machte einen weiteren Schritt auf sie zu und senkte den Kopf. Das Licht fiel zu Boden. »Diese beiden Schläuche sorgen dafür, dass es zu keinem Rückstau kommt. Jeden zweiten Tag werde ich dir etwas zu essen und zu trinken bringen.«
    Ihr Herz tat einen Satz. Sie wollte den Kopf senken, doch das ging nicht. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er einen dünnen Kunststoffschlauch aus den Fingern gleiten ließ, dessen Ende in einen Metalleimer plumpste.
    »Einen Schmerz kann ich dir allerdings nicht nehmen.« Er atmete tief ein. Carmen bemerkte die Erregung in seiner verzerrten Stimme, als hätte er lange auf diesen Augenblick gewartet. »Ich weiß nicht, wann die Ankylose einsetzt, aber ich denke, schon bald werden sich deine Gelenke versteifen. Deine Wirbelsäule wird verknöchern, und deine Fingernägel werden in den Körper zurück wachsen. Doch davon wirst du nichts mehr mitbekommen.« Die Stimme klang, als lächelte er. »Platzangst und die psychische Belastung werden dich vorher in den Wahnsinn treiben.«
    Sie brachte kein Wort heraus. Ihr Gedanke, ihn zu töten, war wie wegradiert. Er war gefährlich und verrückt. Langsam kroch Panik in ihr hoch. Vielleicht war doch alles nur ein Albtraum, dachte sie. Einer von der schlimmen Sorte, bei der man Gott dankt, dass er nicht real ist, sobald man erwacht.
    »Ich brauche Wasser«, krächzte sie. Ihr Mund war vollkommen trocken.
    »Morgen«, antwortete er.

    »Was haben Sie mit mir vor?«
    Er stand unmittelbar vor ihr und studierte ihre Gesichtszüge. Sie roch seinen Atem. »Hast du es noch nicht begriffen?«
    Er trat einige Schritte zurück und langte nach oben. Sie sah nicht, was er herunterholte, hörte nur das Klirren einer Kette. Offensichtlich zog er an einem Flaschenzug.
    »Der Mörtel war erst nach acht Stunden trocken. Danach habe ich den Block mit diesem Flaschenzug aufgestellt.«
    Er ließ die Kette los und trat hinter Carmen. Das Licht seiner Stirnlampe fiel auf einen Spiegel, der am Ende der Kette baumelte. Der Schimmer wurde reflektiert und tanzte über die Wände. Rote Backsteinziegel. Kein Verputz. Das Gewölbe war leer und reichte nicht weit nach hinten – wie ein kleiner Weinkeller. Carmen
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