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Todesfrauen

Todesfrauen

Titel: Todesfrauen
Autoren: Jan Beinßen
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nicht auch den anderen Blickwinkel kennen würde: Gabriele stammte aus einer Familie, in der die jeweilige Finanzlage schon immer Dreh- und Angelpunkt gewesen war: Ihre Urgroßeltern hatten das Antiquitätengeschäft in der Pirckheimerstraße aufgebaut, ganz klein und bescheiden mochten die Anfänge gewesen sein. Die Großeltern steckten dann all ihre Kraft in die Vergrößerung des Geschäfts, erweiterten den Kundenkreis, planten sogar Filialen in anderen Stadtteilen. Die dafür notwendigen Investitionen sparten sie sich vom Mund ab. Schließlich gelang ihnen der große Wurf, und für eine kurze Zeit war Antiquitäten Doberstein der Branchenführer in Nürnberg und überflügelte sogar die alteingesessene Konkurrenz am Burgberg. Doch eines Tages fielen die Bomben des Zweiten Weltkriegs. Die Nordstadt traf es besonders hart. Das Wohn- und Geschäftshaus der Dobersteins bekam einen Volltreffer ab, alles versank in Schutt und Asche. Die Großeltern hatten weder die Kraft, noch das Geld für die angebrachte Aufbauarbeit. Also mussten Gabrieles Eltern, damals noch sehr jung, ran und die Ärmel hochkrempeln. Sie begannen wieder bei null, und die Lage war nach wie vor sehr bescheiden, als Gabriele und ihr Bruder Friedhelm das Licht der Welt erblickten. An den Kindern wurde geknapst und ihnen schon in ganz jungen Jahren eingebläut, sparsam zu sein und das Geld zu mehren, statt es auszugeben. Denn man konnte ja nie wissen, wann die nächste Katastrophe über die Familie hereinbrechen würde.
    Zwar ging es Gabriele mittlerweile wohl recht gut, denn sie galt als angesehene Adresse und hatte viele Stammkunden. Auch ihre Nebengeschäfte, von denen Sina ja nur die wenigsten kannte, brachten sicherlich Etliches ein. Aber Gabriele blieb geprägt von den Eindrücken ihrer Kindheit und Jugend, manisch darauf bedacht, nur ja keine potenzielle Geldquelle zu übersehen.
    Als gute Freundin versuchte Sina immer wieder, Gabrieles überehrgeiziges Bestreben auf ein normales Mittelmaß zu reduzieren, doch es wollte ihr nicht gelingen. Im Gegenteil: Am Ende war Sina ja oft selbst mit von der Partie, wenn Gabriele sich anschickte, einen neuen Coup zu landen.
    Sina schlürfte nachdenklich Tee und übte sich in Selbstkritik: Statt zu verhindern, dass Gabriele weitere Dummheiten ausheckte, förderte sie diese Entwicklung durch ihre oftmals viel zu devote Art und ihr schnelles Einknicken, wenn es galt, eigenen Vorsätzen treu zu bleiben. Immerhin, ein kleiner Trost blieb: Sina konnte vereiteln, dass die beiden Frauen eine abenteuerliche Reise nach Jugoslawien antraten – aber stellte das illegale Betreten eines militärischen Sperrgebietes wirklich einen akzeptablen Tausch dar?
     
    Ein heißer Tee und Ruhe zum Nachdenken, Planen und Taktieren – das war es, wonach sich auch Gabriele sehnte, als sie nach Hause kam. Statt der erhofften Zeit für sich allein musste sie sich allerdings unverhofft auf ein paar Stunden in Gesellschaft einstellen: Denn sie wurde bereits erwartet.
    Eduard Diehl stand vor der Tür ihres Geschäfts, dunkler Trenchcoat, farblich passender Hut, die Arme über seinem stattlichen Brustkorb verschränkt. Von Weitem konnte Gabriele das Mienenspiel im bärtigen Gesicht des Kommissars nicht erkennen. Als sie näher trat, musste sie jedoch feststellen, dass Diehl nicht gekommen war, um ihr als Verehrer die Aufwartung zu machen: Er sah sehr ernst und, ja, auch sehr dienstlich aus.
    »Können wir reingehen?«, fragte er brummig durch die Scheibe. »Ungestört reden?«
    Gabriele, etwas eingeschüchtert, willigte ein und schloss auf. Gleich hinter ihnen verriegelte sie die Ladentür wieder. Diehl ging schweigend voran bis ins Nebenzimmer, die Teeküche.
    Er bat nicht um einen Kaffee und machte auch keine Anstalten, sich zu setzen. Stattdessen hob er mit gedämpfter, beinahe monotoner Stimme an: »Ich habe eine traurige Nachricht zu überbringen. Ich hoffte, dass ich deine Freundin Sina hier antreffen würde, um es auch ihr mitzuteilen. Sie wird es wohl noch härter treffen.«
    Gabriele fühlte, wie ihr das Blut aus dem Kopf wich. Was, um Himmels willen, wollte Diehl ihr sagen? War er ihnen auf die Schliche gekommen und würde ihren Bilder-Deal vereiteln? Aber was sollte dann diese Anspielung auf Sina? Weshalb würde sie stärker betroffen sein als sie selbst?
    Diehl ließ sie nicht lange im Unklaren, sondern brachte seine Nachricht vor. Er sprach sachlich und etwas unterkühlt. Es hörte sich an, als hätte er diese oder ähnliche
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