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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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lauschte erleichtert seinen schweren Schritten auf der Treppe, lächelte, als er hereinkam und leise »Hallo« sagte, sie behutsam umarmte und küsste. Sie konnte spüren, wie es ihn glücklich machte, sie zu sehen, einfach nur zu sehen, und das zu spüren machte sie wiederum glücklich.
    Anfangs war es ungewohnt gewesen, dass das Haus nicht mehr nur ihres war, sondern auch seines, genau wie ihr Leben nicht mehr nur ihres war. Seinen Rasierapparat im Badezimmer vorzufinden, Bierflaschen in den Kühlschrank zu stellen, Kartoffelchips zu kaufen. Einen Fernseher im Wohnzimmer stehen zu haben, ein riesiges, lautes Ding, weil Justus ab und zu gern Sport guckte, Boxen, Fußball, Formel-I-Rennen. Verblüffend, festzustellen, dass auch sie einem Boxkampf etwas abgewinnen konnte.
    Sie lebte. Dinge veränderten sich. Sie hatte, solange ihr Bauchumfang es noch ermöglicht hatte, angefangen, hinten im Garten Blumen zu pflanzen, die sie selber ausgesucht hatte. Ein Kinderzimmer, frisch gestrichen und voller knallbunter Möbel, wartete auf das Baby.
    Abends machte sie immer belegte Brote, die sie am Küchentisch sitzend verzehrten. Justus machte sich gern einen Kräutertee dazu und erzählte von seinem Tag. Das war seine Art, abzuschalten, zu Hause anzukommen.
    »Es gibt wieder einen ›gefallenen Engel‹«, erzählte er heute. »In München diesmal. Wollte in eine Auseinandersetzung zwischen einer Prostituierten und einem Mann eingreifen, aber der war wohl ihr Zuhälter und schneller mit der Waffe.«
    »Schlimm«, sagte Victoria.
    Er nahm einen Schluck. »Wieder die identische Ausrüstung. Derselbe Mantel, dieselbe Perücke. Nur die Pistole war eine andere, eine SIG Sauer.«
    »Das heißt, die Sachen werden nach wie vor verkauft.«
    »Über’s Internet. Klar. Es ist auch aussichtslos, die Firma dazu bringen zu wollen, ihren Betrieb einzustellen. Offiziell ist alles Partybedarf, daran ist nichts Illegales, und dass dieser Mantel und diese Perücke die Bestseller sind … tja. Ist halt so.«
    »Aber dieser Sidney Westham müsste doch die Adressen aller Besteller haben, oder?«
    »Ja, bloß kommt man an die nicht so ohne Weiteres ran.« Justus griff nach dem nächsten Brot. »Der lässt sich auch nicht davon abbringen. Beharrt auf dem Standpunkt, dass er das zum Andenken an seinen besten Freund tut.«
    »Und wenn es so wäre?«
    »Ja, aber natürlich tut er’s auch für sein Bankkonto. Der Medienrummel damals hat ihm den Durchbruch beschert, und das nutzt er jetzt aus.« Er biss ab, kaute und meinte dann: »Wenn du mich fragst – das sind die Medien. Ohne die würde das alles nicht passieren.«
    Victoria streichelte sich den dicken Bauch. Sie war schon wieder satt, von einem halben Brot. Mehr passte nicht mehr hinein.
    »Das kannst du nicht wissen«, sagte sie. »Wenn die Zeitungen nichts mehr darüber schreiben würden, würde es sich über’s Internet verbreiten.«
    »Es kommt halt darauf an, was sich verbreitet«, meinte Justus. »Neulich hat ein Vater seinen sechsjährigen Sohn wegen irgendwas auf offener Straße geohrfeigt. Plötzlich taucht so ein leuchtender Engel auf und schießt auf ihn. Sie haben den Mann in einer Notoperation retten können, zum Glück, aber denk mal, das Kind.«
    Victoria erschauerte. »Schrecklich.«
    »In Stockholm war das.«
    »Man ohrfeigt seine Kinder allerdings auch nicht.«
    Justus nickte. »Man erhebt besser gegen niemanden mehr die Hand in der Öffentlichkeit; man weiß nie. Und die Medien stürzen sich zu gern auf solche Fälle, feiern sie geradezu ab und lassen es so aussehen, als sei es immer und überall ein und derselbe Kerl.«
    »Neulich hast du gesagt, den Statistiken zufolge nähme die Gewalt auf den Straßen ab.«
    »Ist auch so. Die Kurven sind sozusagen im freien Fall.«
    »Erstaunlich, oder? Wenn der Racheengel angeblich nur ein Medienphänomen ist.«
    »Das ist so, weil all diese Schlägertypen nicht intelligent genug sind, um zu kapieren, dass der Racheengel nicht immer dieselbe Person sein kann. Und weil die Medien Informationen unter den Tisch fallen lassen. Zum Beispiel ist der Typ, den sie in Stockholm festgenommen haben, seit Langem psychisch auffällig gewesen, mit einer zehn Zentimeter dicken Krankenakte. So etwas erfährt man nur, wenn man zufällig bei der Polizei arbeitet.«
    Victoria legte ihre Hand auf seine. »Versprich mir, dass du unser Kind niemals ohrfeigen wirst.«
    Justus lächelte, blinzelte, als erwache er aus einem bösen Traum. »Ich verspreche dir, dass
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