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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille
Autoren: Doris Gercke
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an der Seifenschale fest, die in die Wand der Dusche eingepasst war.
    Und jetzt kalt, sagte sie laut, und als sie das Wasser abgestellt hatte, zitterte sie so sehr, dass sie sich wieder festhalten musste.
    Ja, das macht Spaß, sagte sie. Gut, dass die Zähne noch echt sind.
    Sie wickelte sich in ihren Bademantel und ging in die Küche. Ihre Füße hinterließen schmale, nasse Abdrücke auf dem Boden.
    Und nun Kaffee.
    Den dampfenden Becher mit Kaffee in der Hand, zog sie dieVorhänge im Wohnzimmer zurück. Der Himmel über der Straße war blau. Auf dem Balkon stand ein einzelner, wackeliger Korbstuhl. Sie setzte sich darauf, trank den Kaffee und betrachtete die Straße, die Häuser, den Eingang zum Supermercado, als sähe sie alles zum ersten Mal. Oder zum letzten Mal.
    In den nächsten Wochen kam Maria-Carmen in ihren freien Stunden zu Nini. Sie brachte immer eine der französischen Zeitungen mit, die sie im Mini-Market an der Hafenstraße erstand. Dann bat sie Nini, ihr aus der Zeitung vorzulesen und ihr zuerst die Überschriften und dann auch einzelne Textzeilen zu übersetzen. Nini, die schon lange keine französischen Zeitungen mehr las, nicht nur, weil die immer mindestens einen Tag alt waren, sondern auch, weil sie gespürt hatte, dass die Lektüre sie unruhig machte und ihr Heimweh verstärkte, weigerte sich am Anfang, auf diese Wünsche einzugehen. Bald aber gab sie ihren Widerstand auf. Sie merkte, dass die Gesellschaft von Maria-Carmen ihr guttat.
    Und sie dachte, dass sie so am besten ein Auge auf die Kleine hätte, denn sie ahnte, was die vorhaben könnte. Deshalb war sie nicht überrascht, als Maria-Carmen plötzlich nicht mehr kam. Sie saß wartend auf dem Balkon, sah auf die Straße, beobachtete vier oder fünf Katzen und zwei alte Frauen, die an der gegenüberliegenden Hauswand in der Sonne saßen, und da wurde ihr klar, dass sie ganz bestimmt keine Lust hatte, wie die spanischen Greisinnen an den Hauswänden zu hocken, bis sie vom Stuhl fielen. So wollte sie nicht enden. Das Mädchen will nach Marseille? Gut, dann würde sie mitgehen!
    Das wirst du doch noch können, Nini, sagte sie laut, stand auf und begann, im Schlafzimmer nach ihrer Reisetasche zu suchen. Die lag zusammengedrückt unter einem Berg von Schuhen und Zeitungen am Boden des Kleiderschranks. Es war eine Tasche aus feinem dunkelbraunem Leder, die mal teuer gewesen sein musste. Nini ging in die Küche und begann, das Ledergründlich mit Avocadoöl zu bearbeiten. Anschließend rieb sie sich selbst von Kopf bis Fuß mit dem Öl ein. Am Ende schimmerten ihre Haut und die Tasche um die Wette. Die Tasche nahm sie mit ins Bad. Lange stand sie, die noch leere Tasche über die Schulter gehängt, vor dem Spiegel. Sie sah eine dünne alte Frau mit einer großen Tasche über der Schulter, deren Leder der Haut der alten Frau ähnlich sah.
    Nicht übel, sagte sie schließlich, gar nicht so übel.
    Vom Nachmittag desselben Tages an sah man Nini, die Reisetasche, die nicht sehr voll war, über der Schulter, am Hafen die Abfahrt der Fähren beobachten. Sie blieb, bis das letzte Schiff den Hafen verlassen hatte, und stand dort morgens, wenn das erste abfuhr. Sie blieb den Tag über in der Bar an der Anlegestelle, beobachtete die ankommenden Fahrgäste, aber sehr viel gründlicher die abfahrenden, aß einmal am Tag eine winzige Portion Thunfischsalat, trank ein Bier dazu und ging am Abend zurück in ihre Wohnung. Dort genehmigte sie sich eine kleine Portion Gin, schlief schnell ein, wachte ein paarmal in der Nacht auf und stand am Morgen wieder am Hafen, aufmerksam die Ankommenden, aber noch aufmerksamer die Abfahrenden beobachtend. Am vierten Tag nach dem letzten Besuch des Mädchens wurde ihr klar, dass sie ihren Wünschen aufgesessen war. Die Nachmittagsfähre verschwand hinter der Kaimauer. Das kleine Boot, das die Touristen nach El Cabrito brachte, wo sie bei Wein und Salatbuffet ihrer Vergangenheit als Kommunarden nachtrauerten, hatte schon vor einer halben Stunde abgelegt. Die Büros der Schifffahrtsgesellschaften und Autovermietungen hatten ihre Läden geschlossen, und sie saß immer noch auf der Terrasse der Hafenbar, trank Wasser und sah auf das Meer, das blau war, und den Himmel, der blau war, und die Felsen, die schwarz waren,
    Verdammt, sagte Nini, bin ich blöd.
    Sie ließ die Tasche am Tisch stehen, ging in die Bar undbestellte einen doppelten Gin, ohne Eis und mit ganz wenig Tonic.
    Ich dachte schon, du wärst krank, sagte der Junge
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