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Tod im Schärengarten

Tod im Schärengarten

Titel: Tod im Schärengarten
Autoren: Viveca Sten
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lag.
    Verzweifelt warf er sich in die Arme der Mutter, als sie die Haustür öffnete. Sein kleiner Körper wurde vom Schluchzen geschüttelt.
    Plötzlich sah er seinen Vater in der Eingangshalle auftauchen. Er erstarrte. Wieso war Vater mittags zu Hause?
    Die große Gestalt im dunklen Anzug sah ihn missbilligend an.
    »Warum weinst du, Junge?« Die Stimme war kalt und distanziert.
    Zwischen den Schluchzern versuchte er zu erklären, dass einer der großen Jungs ihm seine schönste Murmel weggenommen hatte, die aus blauem Glas, als sie auf dem Schulhof spielten.
    »Was hast du daraufhin getan?«, fragte der Vater streng.
    Stockend berichtete er, dass er weggelaufen war. Es hatte keinen Sinn, sich mit Wille Bonnevier anzulegen, der zwei Klassen über ihm war. Er hatte sich nicht getraut, etwas zu tun, sondern den Schulhof verlassen.
    Die Ohrfeige warf ihn beinahe um. Der Schock bewirkte, dass er aufhörte zu weinen.
    Ein großer roter Fleck breitete sich auf seiner linken Wange aus. Niemand sagte etwas.
    Er suchte den Blick seiner Mutter, aber sie wandte den Kopf ab. Auf der Schwelle zur Küche stand seine geliebte Kinderfrau Elsa, aber sie wagte nicht zu protestieren.
    Wenn der Herr Direktor in so einer Stimmung war, hielt man besser den Mund.
    Elsa rang die Hände. Ihr blutete das Herz, während sie den kleinen Jungen ansah, der zitternd vor seinem Vater stand.
    »Du gehst jetzt in die Schule und holst dir deine Murmel zurück. In unserer Familie dulden wir so etwas nicht. Denk daran, wer wir sind. Und du hörst sofort auf zu heulen.«
    »Ja, Vater.« Die Worte kamen nur flüsternd.
    Er senkte den Kopf und zog seine Jacke wieder an. Vergeblich suchte er noch einmal den Blick seiner Mutter. Mit langsamen Schritten stieg er die grüne Marmortreppe hinunter und öffnete das schwere Tor.
    Die Angst, dem Vater zu missfallen, war größer als die Angst vor den älteren Schulkameraden.
    Als er seine Murmel zurückforderte, war ihm ganz übel vor Furcht, aber er bekam sie in die Hand gedrückt. Ob es daran lag, dass Wille verblüfft über seine Dreistigkeit war oder ob er einfach das Interesse verloren hatte, bekam er nie heraus.
    Sein Vater fragte nicht nach der Murmel, als er am Abend nach Hause kam.
    In dieser Nacht nässte er wieder ein.

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Montag, erste Woche
Kapitel 7
    Das rote Taxiboot legte gerade vom Kai in Stavsnäs ab, als Thomas und Margit vom überfüllten Parkplatz angelaufen kamen. Sie hatten mit Mühe geschafft, Thomas’ Volvo in eine winzige Lücke zu quetschen, in der hintersten linken Ecke des Platzes. Kein Zweifel, es war Hochsommer. Hunderte von Autos, die alle den Freizeit-Inselbewohnern im südlichen Schärengarten gehörten, drängten sich auf dem Platz.
    Der Bootsführer sah sie kommen und erbarmte sich. Er stoppte das Rückwärtsmanöver und steuerte zurück an den Kai, sodass sie an Bord springen konnten.
    »Danke«, keuchte Thomas und nickte ihm zu.
    Sie gingen die Treppe zum Passagierraum hinunter und suchten sich einen der Tische im Salon, der kaum halb voll war. Thomas ging zu dem kleinen Tresen, der auch als Cafeteria fungierte, um zwei Fahrscheine zu lösen. Es duftete verführerisch vom Mini-Grill herüber, und Thomas merkte, wie hungrig er war.
    »Was riecht denn da so gut?«, fragte er die freundliche Frau hinter dem Tresen.
    »Überbackener Toast. Wollen Sie einen? Die sind richtig gut, wenn ich das mal so sagen darf.«
    Sie hielt ihm einen Teller hin, damit er sich selbst ein Bild von den Toasts machen konnte.
    Thomas musste nicht lange überredet werden. Er bestellte einen für sich und einen für Margit. Zwei Leichtbier durften es auch sein. Er nahm die Flaschen und zwei Gläser und ging zurück zu Margit.
    »Hier«, sagte Thomas und hielt ihr die kleine Plastikkarte hin, als Beweis, dass er Margits Überfahrt nach Sandhamn bezahlt hatte.
    »Hast du dir eine Quittung geben lassen?«, fragte sie mit Unschuldsmiene.
    »Japp. Hab ausnahmsweise mal daran gedacht. Aber danke, dass du fragst.«
    Thomas’ schludriger Umgang mit Quittungen und Spesen war ein running gag unter den Kollegen.
    Plötzlich hörte er eine wohlbekannte Stimme.
    »Na, wenn das nicht der Thomas ist. Tag auch!«
    Thomas blickte auf und erkannte einen seiner Nachbarn von Harö. Hasse Pettersson war ein wettergegerbter Kerl in den Siebzigern, der seit seiner Pensionierung die meiste Zeit draußen auf Harö verbrachte, wo er aufgewachsen war. Seine verschlissene Jeans hatte einen großen Ölfleck auf dem
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