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Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm
Autoren: Anna Jansson
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alle Muskeln zur Verteidigung gegen seine Stimme an und schloß die Tür hinter sich.
    »Komm zurück, komm zurück, du elendes Flittchen!«
    Sie kroch in die Sofaecke im Wohnzimmer und hielt sich die Ohren zu, schloß lange die Augen, so lange, bis er verstummt war und sie wieder ihre eigenen Gedanken denken konnte.
    Langsam öffnete sie die Augen und sah auf der gegenüberliegenden Wand das Familienporträt in seinem protzigen Goldrahmen. Sie selbst so jung mit auftoupiertem Haar und einem angespannten Zug um den Mund. Die Zwillinge Olov und Christoffer auf ihren Knien und Wilhelm wie ein Berg dahinter. Mürrisch unter den buschigen Augenbrauen hervorschauend warf er seinen Schatten über sie alle. Ein verlogenes Idyll, nur die halbe Wahrheit.
    Mona lehnte sich nach vorn, um aufzustehen, der Kopf drohte zu bersten. Wilhelm sah sie vorwurfsvoll an, er bohrte seinen Blick in ihre blassen Zichorienaugen und hielt sie fest. Die Übelkeit kam so schnell, daß sie es nicht mehr auf die Toilette schaffte. Sie spürte die warme Flüssigkeit über ihre Füße rinnen. Ich hätte dich nie geheiratet, wenn ich nicht gemußt hätte, flüsterte sie zu ihrer Verteidigung und wischte sich mit der Hand über den Mund. Niemals.

4
    Als Anselm endlich eingeschlafen war und die unaufhörlichen Beschimpfungen verstummten, rauschte die Stille in ihren Ohren wie das Geräusch eines großen Wassers. Hurenbalg, verdammtes Flittchen. Mona spülte seine Bettwäsche aus und sah das braune Wasser in den Abfluß wirbeln. Sie stopfte alles zusammen mit dem Hemd und der Unterhose in die Waschmaschine. Die Maschine rumorte los und sang laut, als würde sie in den letzten Zügen liegen, wie alle Geräte im Haus. Doch bei dem Lärm würde er vielleicht merken, daß es sich nicht lohnte zu schreien, wenn er wach wurde.
    Jetzt mußte sie nachdenken! Sie mußte runter zum Strandhäuschen. Wie mechanisch sammelte Mona die Wäsche von der Treppe, wo Wilhelm sie hingeworfen hatte. Sie nahm sein rotkariertes Hemd hoch und warf es wieder hin, als hätte sie sich daran verbrannt. Es war, als würde sein Geist immer noch in dem Kleidungsstück, in dem zerschlissenen Stoff des Alltagshemdes leben. Sie zwang sich, es wieder hochzunehmen, faßte es an der äußersten Ecke an und legte es in den Wäschekorb. Die Unterhose, die vorn gelb von Urin war, hing wie ein geköpftes Huhn über der Treppenstufe. Die Strümpfe waren steif von Schweiß. Seine Arbeitshose mit dem eingetrockneten Schmutz auf den Knien stand fast von allein. Sie leerte Schrauben, Muttern und verbogene Nägel aus den Taschen.
    Ein paar Mal hatte sie ihn vorsichtig gebeten, die Schmutzwäsche doch in die Waschküche zu tragen, aber er hatte ihre Bitten völlig ignoriert. Die Katze hatte mehrfach ihr Revier auf seinen Kleidern markiert, wenn der Schweißgeruch zu herausfordernd gewesen war. Hätte sie ihm das gesagt, dann hätte er das Tier sicherlich sofort erschossen. Wenn sie Veränderungen in seiner Körperhaltung bemerkte, hatte sie nicht gewagt, ein Thema wieder anzusprechen. Das Leben hatte sie dazu gezwungen, eine Meisterin im Interpretieren von Körpersprache zu werden und schon frühe Signale wie einen angespannten Nacken, ein plötzliches Schweigen, einen Tonfall, sich zu Schlitzen verengende Augen zu registrieren, um eine Katastrophe zu verhindern. Sie bemerkte jede Veränderung blitzschnell, um sich sogleich in ihr Innerstes zurückziehen zu können.
    Gelb eingetrockneter Urin, peinliche Flecken … Die Jungs hatten sich im Umkleideraum, als die Mädchen nach dem Sport unter der Dusche waren, ihre Unterhose geschnappt. Sie hatte nicht duschen wollen und sich deshalb noch im Gymnastikraum hinter der großen Matte versteckt. Der Körper war so mager gewesen und hatte nur zwei Mückenstiche als Brüste gehabt. Sie wollte sich den ungenierten Blicken der anderen Mädchen nicht aussetzen, wollte nicht verglichen und beurteilt werden. Die anderen, die etwas taugten, hatten einen BH mit Spitzenkante. Mona mußte sich mit Unterhemden zufriedengeben. Vater hatte laut losgelacht, als sie ihn um Geld für etwas derart Unnötiges gebeten hatte. Ihre Rippen staken vorn heraus und die Schulterblätter hinten, wie große Fledermausflügel. Sie hatte sich nicht getraut, sich in der Sonne auszuziehen, und war im Herbst die hellhäutigste in der Klasse. Aber das Schlimmste waren die Haarsträhnen, die an den beschämenden Stellen wuchsen. Das durfte niemand sehen. Niemand!
    Sie wollte ihren Körper
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