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Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm
Autoren: Anna Jansson
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es dir ging?«
    »Nein, ich habe mich geschämt, weil ich nicht so beliebt und erfolgreich war, wie sie mich gern haben wollten. Ich habe die Unterschrift meiner Mutter auf dem Brief gefälscht, das war nicht besonders schwer. Damals habe ich erkannt, daß es keine Gerechtigkeit und keine gerechte Gesellschaft geben wird, wenn wir uns nicht gemeinsam dafür einsetzen.«

3
    »Mona! Mooona!« Als Mona aus dem Auto stieg, konnte man Anselms Schreie schon bis weit hinter den Geräteschuppen hören. Sie spürte, wie sich ihr Magen vor Angst zusammenzog. Verdammt! Sie schaute sich um. Wenn ihn nur niemand gehört und die Polizei gerufen hatte. Still, bitte sei doch still! Wieso war er bloß aufgewacht, der Alte? Der weckte ja das halbe Dorf mit seinem Gebrüll. Wenn sie nur damals stark genug gewesen wäre, ihren Willen durchzusetzen. Wilhelm war auch dafür gewesen, daß sein Schwiegervater ins Heim kam. Entscheide du, hatte er gesagt. Es ist dein Vater. Aber hatte sie gewagt, ihm das zu sagen? Nein. Es war nichts daraus geworden. Jetzt verfluchte sie ihre Feigheit. Das Fenster im oberen Stock stand weit offen. Im Mondlicht konnte sie sehen, wie Anselm lebensgefährlich weit mit dem Oberkörper aus dem Fenster hing wie ein Kuckuck aus einer Kuckucksuhr.
    »Mooona!« Sie machte einen Schritt über einen zerschlagenen Blumentopf mit einer übel zerdrückten Geranie, lief über die verstreute Blumenerde, riß die Haustür auf und rannte die Treppe hoch, sie warf den Wäschekorb um, stolperte über die Schmutzwäsche, lief weiter.
    »Ich bin hier, Vater.« Der Gestank, der ihr entgegenschlug, ließ sie würgen.
    »Knall nich so mit der Tür. Verdammich, wo warst du?« Er wandte sich langsam vom Fenster ab, sank auf den Boden und sah sie mit blinden Augen an. Vorwurfsvoll. »Ich hab mich eingeschissen. Wo zum Teufel warstn du?«
    »Ich habe wohl fest geschlafen.« Sie war froh, daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Mit einem kräftigen Griff versuchte sie, ihm in den Rollstuhl hochzuhelfen, und spürte, daß sie sein Gewicht nicht mehr bewältigen könnte, wenn er nicht selbst mit den Armen mithalf.
    »Ich mußte zum Fenster kriechen. Hat nich viel gefehlt, un ich wär rausgefallen, als ich mich hochgezogen hab. So soll’s wohl sein, daß man so schnell wie möglich hier verschwindet, solang es noch was zu erben gibt. Der Blumenpott liegt unten an der Treppe. Soll da liegen bleiben! Wenn ich dich rufe, mußt du kommen, verdammich!«
    »Vielleicht ist es am besten, wenn ich dich abwasche, während du auf dem Boden liegst.« Mona streckte die Hand nach dem Kissen aus und legte es unter seinen Kopf. Das Bett schwamm geradezu in Exkrementen. Er weigerte sich stur, im Sommer Windeln zu tragen. Es wäre auch besser, wenn er das Abführmittel nicht selbst dosieren würde, das hatte sie schon oft gedacht.
    »Ich glaub, ich hab ein Auto gehört.« Mona wartete mit der Antwort, bis sie sich auf ihre Stimme verlassen konnte. Spürte die Angst wie eine neue Woge der Übelkeit kommen. Sie blieb ganz still stehen und wartete, bis sich ihr Atem beruhigt hatte.
    »Ach so?«
    »Hast du gesehen, wer das war?« fragte er.
    »Ich habe nichts gehört. Hast du dein Insulin genommen?«
    Ihre Stimme war beunruhigend dünn.
    »Verdammt!« Sie drückte die richtige Dosis aus dem Päckchen, gab ihm den Insulinstift und bemerkte dabei ihre schmutzigen und zerkratzten Hände und die nackten Beine. Die Schlange! Ein Schrecken fuhr ihr durch den Körper. Das Bein pochte, und an der Stelle, an der die Schlange ihre Zähne in ihre Haut geschlagen hatte, breitete sich bereits eine handtellergroße, häßliche Rötung aus. Konnte man an einem Schlangenbiß sterben? Vielleicht sollte man das Gift aussaugen. Oder einen Umschlag um das Bein machen? Sie traute sich nicht, zum Arzt zu gehen. Der würde bestimmt Fragen stellen, unangenehme Fragen. Der Fuß war stark angeschwollen und beulte sich zwischen den Riemen der Sandale aus.
    Mona trug die schmutzigen Bettücher ins Badezimmer und besah sich im Spiegel. Sie erschrak vor ihrem eigenen Blick mit den aufgerissenen Augen. Die Blässe, die sich durch den sonnenverbrannten Teint drängte, ließ die Haut im Schein der Neonröhre grau wirken. Das Licht stach in den Augen und ließ die Kopfschmerzen unerträglich werden. Der Brustkorb hob und senkte sich mit einer Heftigkeit, die nicht normal war. Im Gesicht hatte sie eine Schramme, einen schmalen roten Strich vom Mundwinkel hinunter über das Kinn. Die Haare waren
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