Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm
Autoren: Anna Jansson
Vom Netzwerk:
Mund brachte sie zum Schweigen. Er strich ihr übers Haar. Da nahm sie die Hand hoch, um seine Wange zu streicheln. Sie war schweißnaß.
    »Ich wollte ihn nicht töten.«
    »Nein.«
    Er hielt ihr Gesicht jetzt mit beiden Händen, sah ihr lange in die Augen und überdachte seinen Entschluß.
    »Was ich jetzt tun werde, wirst du nicht sehen wollen. Warte am Auto auf mich.«
    »Ja.« Sie fragte nicht nach. Wagte es nicht. Schaffte es auch nicht. Seine Gesichtszüge waren im Mondlicht so hart. Das Kinn und die kräftige Nase leuchteten weiß. Die Augenhöhlen lagen tief im Schatten unter den Augenbrauen. Die scharfe Klinge glänzte im Mondlicht. Mona sah es aus dem Augenwinkel, ohne es wirklich zu bemerken. Es stimmte. Sie wollte nicht wissen, was er vorhatte.

    Im Licht der ersten Dämmerung ließ er sie an der Kreuzung in Eksta raus und fuhr, um ihr Werk so zu vollenden, wie es sein mußte.

2
    »›§ 15. Wenn jemand einen anderen überfällt und ihm beide Hände abhackt oder beide Füße oder ihm beide Augen aussticht, und der Mann dann noch lebt, dann sollen für jedes davon zwölf Silbermark gezahlt werden. §16 Wenn einem die Nase so abgeschnitten wird, daß er Schleim und Rotz nicht zurückhalten kann, dann soll er ebenfalls zwölf Silbermark bekommen. § 17 Wenn einem die Zunge aus dem Kopf gezogen und abgeschnitten wird … zwölf Silbermark. § 18 Wenn ein Mann am Geschlecht so verletzt wird, daß er nicht mehr der Vater von Kindern werden kann, dann gibt es sechs Silbermark für jeden Stein … Wenn es so abgeschnitten ist, daß der Mann seine Notdurft nicht anders verrichten kann als wie eine Frau im Sitzen, dann soll er achtzehn Silbermark bekommen.‹ So steht es im Gutalag.« Vega Kraft ließ das Gesetzesheft auf ihre Knie sinken und schlürfte von der Untertasse, die sie geschickt auf drei Fingern balancierte, Kaffee in sich hinein, nahm noch ein Zuckerstück zwischen die Lippen und hob die Untertasse wieder zum Mund. Ihr kräftiges weißes Haar war mitten auf dem Kopf zu einem dicken Knoten gedreht, der bei jeder Bewegung mitwippte.
    »Das klingt ja nicht gerade angenehm.« Kriminalinspektorin Maria Wern betrachtete ihre Vermieterin etwas verwirrt und wechselte einen raschen Blick mit ihrem Kollegen Tomas Hartman.
    »Angenehm? So wie die miteinander umgingen, kann man verstehen, warum man vom finsteren Mittelalter spricht. ›Wenn du einem die Zähne ausschlägst, dann zahlst du für jeden Zahn, was er wert ist.‹ Das klingt in meinen Augen wie die Regeln bei Monopoly, wo Dinge nur geschehen, weil sie gewürfelt wurden – unweigerlich schneidet man jemandem die Zunge raus. Der Preis steht dann schon fest, auch wenn man in der Schloßstraße landet. Wenigstens kann man daran erkennen, daß die Zivilisation sich schon weiterentwickelt hat, denn das Gutalag ist Mitte des 14. Jahrhunderts niedergeschrieben worden. Ich dachte nur, es könnte gut sein, wenn ich euch mal das Gesetz vorlese, ehe ihr auf Streife geht. Gotland ist eine alte Bauerngesellschaft, die immer nach einer gewissen Autonomie gestrebt hat. Aber jetzt nehmt doch noch was. Du hast mein Schmalzgebackenes noch nicht probiert, Tomas. Bitte schön.«
    Kriminalinspektor Tomas Hartman streckte folgsam die Hand nach dem überquellenden Kuchenteller aus und sah verstohlen zu Maria hinüber. Vielleicht schämte er sich ein wenig für seine Tante Vega. Ihr Hang zum Makabren konnte manchmal etwas anstrengend sein, und war sie erst mal in Fahrt, war sie nicht so leicht zu bremsen.
    »Klinten ist wirklich eine nette Gegend.«
    Maria ließ ihren Blick auf Geißblatt und Rosen ruhen, die am gelben Zaun zur Norra Murgatan hinaufkletterten. Sie hingen in langen Ranken über das Fenster zur Dachwohnung, die sie für ein paar Sommerwochen gemietet hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite erhob sich als Grundstücksgrenze hoch und grau die Stadtmauer, die dem Farnkraut Schatten spendete. Der kleine mit Kies bestreute Innenhof, auf dem sie saßen, war zu beiden Seiten von niedrigen Holzhäusern gesäumt. Sie gehörten Vega, die das eine über den Sommer vermietete, die untere Wohnung an Hartman und die obere an die Familie Wern.
    Hartman hatte Maria im Vertrauen zugeflüstert, er und seine Frau hätten beschlossen, die schwierigsten Verwandten jeweils allein zu besuchen. Das schonte die Ehe. Dadurch, daß er während des Sommers ein paar Wochen auf Gotland arbeitete, konnte er nun zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Maria verstand das gut und nickte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher