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Tod Im Anflug

Titel: Tod Im Anflug
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freute sich über die Anwesenheit seines Freundes, der mit weit ausgebreiteten Flügeln auf einem Ast saß und sein Gefieder im leichten Wind trocknen ließ.
    »Natürlich«, sagte Rio. »Eine so schlimme Sache geht uns schließlich alle an.«
    Beide kannten sich seit frühester Kükenzeit, sie waren etwa zur gleichen Zeit geschlüpft. Neidisch hatte Tom die ersten Flugversuche seines Freundes verfolgt, denn Kormorane werden sehr viel früher flügge als Gänse. Jedoch müssen Kormorane nach jedem Tauchgang ihre Flügel trocknen, da ihr Gefieder – zum besseren Tauchen – nicht wasserabweisend ist. Oft sah er Rio deshalb irgendwo wie einen Wappenadler mit weit gespreizten Flügeln sitzen und trocknen. Eine lästige Angelegenheit, um die er Rio wirklich nicht beneidete.
    Während Tom noch mit seinem Kumpel sprach, kam unterschwellig Nervosität in die sowieso schon unruhige Gruppe. Einige Vögel tuschelten hinter vorgehaltenem Flügel.
    »Vielleicht war es der Riffler. Der würde so was tun, da bin ich mir sicher!«, sprach ein Grünschnabel laut aus, was er nach Ansicht der Altvögel besser für sich behalten hätte.
    Ehrfürchtiges Raunen sauste von Schnabel zu Schnabel. Köpfchen wurden blitzschnell eingezogen, wer konnte, tauchte ab.
    Der Riffler!
    Der Albtraum eines jeden Vogels schlechthin. Unzählige Geschichten gab es über ihn. Schon im Nest hörten nicht nur Entenküken und Gänsegössel schreckliche Dinge über ihn. Grausige Geschichten. Vom Riffler, der kam, um sie zu holen, wenn sie nicht vorsichtig wären …
    Der kam, wenn es dunkel wurde …
    Niemand hatte den Riffler je gesehen. Doch jeder hatte schon von ihm gehört. Er war ein Schatten. Ein großer, schwarzer Schatten. Allzeit bereit, einen von ihnen zu holen.
    Keine Ente erhob sich dieses Mal, um die Nachricht zu verbreiten. Die Angst über die Erkenntnis, dass es vielleicht der Riffler gewesen sein könnte, saß zu tief. Dennoch setzte allmählich wieder das übliche Palavern ein.
    Fassungslos schaute Tom dem Treiben seiner Artgenossen zu. Hatte er anfangs noch geglaubt, unbändigen Tatendrang bei ihnen zu erkennen, so sah er jetzt nur einen verunsicherten Debattierclub vor sich, der nichts anderes tat, als zu schwadronieren. Er wollte keine leeren Phrasen quaken, sondern Taten schnattern lassen. Dieses andauernde »Quak-quak« ging ihm mächtig auf die Bürzeldrüse.
    Außerdem glaubte Tom nicht an den Riffler, jedenfalls nicht so richtig. Tom glaubte an Fakten, an Beweise, und er kannte niemanden, der je auch nur die Spitze einer seiner Federn gesehen hatte. Jemand anderes musste daher Neptunus auf dem Gewissen haben. Aber gab es noch etwas Bedrohlicheres als den Riffler? War etwas Neues aufgetaucht, das noch dunkler und noch gefährlicher als der Riffler über den Nestern schwebte?
    Mit halbem Ohr folgte Tom dem Schnattern der Kommission. Sie war sich uneins, wie nicht anders zu erwarten.
    Tom dachte unterdessen an den Morgen zurück. Zu dumm, dass Jupp gekommen war und Neptunus kurzerhand entsorgt hatte, bevor er sich die Brustwunde näher hatte ansehen können. Zudem war ihm jede Möglichkeit, etwas mehr über den Zustand der Wunde – und damit vielleicht über den Verursacher – zu erfahren, durch das Vorfahren des Müllwagens und das Leeren der Abfallcontainer zunichtegemacht worden.
    Außerdem beschäftigte ihn der weit aufgerissene Schnabel des Reihers, an den er sich überdeutlich erinnerte. Hatte Neptunus mit letzter Kraft um Hilfe geschrien? Oder bedeutete der weit aufgesperrte Schnabel möglicherweise eher so etwas wie Atemnot oder Sauerstoffmangel? War er beim Fressen zu gierig gewesen? Hatte etwas Unverdauliches seine Luftröhre versperrt? Neptunus war schließlich dafür bekannt gewesen, dass er nie einen guten Bissen ausließ. Andererseits gab es da ja diese Wunde, die zu einer solchen These nun einmal partout nicht passen wollte.
    Toms Gedanken kreisten unentwegt um den Hergang des Unglücks, durchdachten unzählige Möglichkeiten, wie es zum Tod des jungen Reihers gekommen sein könnte. Doch er fand keine zufriedenstellenden Antworten auf seine Fragen. Jedenfalls nicht so, nicht hier, nicht mitten auf dem See unter all diesen Schnattertanten.
    »Leute, Leute, hört doch mal zu. Bitte!« Es dauerte eine Weile, bis es auf dem See etwas ruhiger wurde und Tom sprechen konnte. »Ich weiß nicht, wer unseren Freund Neptunus auf dem Gewissen hat. Aber ich glaube, wir sollten es uns mit der zu offensichtlichen Riffler-Theorie
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