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Tod eines Tenors

Tod eines Tenors

Titel: Tod eines Tenors
Autoren: Rhys Bowen
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schönsten walisischen Sätze rezitiert, die je geschrieben wurden. Für den Bardenwettstreit beim Eisteddfod, wissen Sie. In diesem Jahr trage ich ein Gedicht vor, das auf der Geschichte von Lady Rhiannon im Mabinogion beruht.«
    »Im was?«, flüsterte der junge Barry-der-Raser, der örtliche Bulldozerfahrer, fast unhörbar.
    »Im Mabinogion«, zischte Evans-der-Fleischer zurück. »Eins der ältesten Bücher der Welt und außerdem voller Geschichten über walisische Helden. Was bringen sie euch heutzutage in der Schule eigentlich bei?«
    Der Pfarrer nickte. »Ja, die Geschichte ist großartig! Diese Dramatik - dieses Pathos, als man ihren kleinen Sohn raubt und sie ihn verzweifelt sucht. Im Publikum wird kein Auge trocken bleiben, das kann ich Ihnen versichern.«
    »Werden Sie etwa Zwiebeln mitbringen, Reverend?«, witzelte Barry- der-Raser in Richtung seiner Freunde.
    »Halt den Mund, Barry-der-Raser«, sagte Betsy heftig. »Du würdest Kultur nicht erkennen, wenn sie auf dich draufspringen und dich beißen würde. Ich finde, der Reverend ist wunderbar. Er wird uns allen Ehre machen.«
    »Ihr Vertrauen in mich ist sehr berührend, meine Liebe«, sagte Reverend Parry Davies. »Ich muss gestehen, dass ich berechtigte Hoffnung habe, in diesem Jahr Oberbarde zu werden.«
    »Schön für Sie, Reverend«, sagte Charlie Hopkins. »Aber was ist mit Mr. Powell-Jones? Ist er nicht auch beim Eisteddfod gemeldet?«
    »Mein Kollege denkt nicht daran, sich an etwas so Weltlichem wie Vortragskunst zu beteiligen.«
    »Was?«, fragte Barry-der-Raser.
    »Er hält es für Sünde, bei Wettbewerben mitzumachen«, stellte Evans-der-Fleischer klar.
    »Nur, weil er nicht gut genug ist«, murmelte Evans-der-Milchmann, allerdings laut genug, dass Evans-der-Fleischer ihn hören konnte.
    »Was hast du gesagt?«, knurrte er. »Du redest mal wieder ausgemachten Blödsinn, wie immer.
    Reverend Powell-Jones hat die schönste Stimme diesseits des Berges. Das ist meine Meinung, und jeder kann sie hören.«
    »Das bestreite ich gar nicht«, versicherte Reverend Parry Davies eilig. »Er hat eine schöne Stimme.
    Fast so gut wie meine.«
    Er erntete allgemeines Gelächter.
    »Außerdem weiß ich ja noch nicht mal, ob er während des Eisteddfod überhaupt hier ist«, fuhr er fort.
    Augenblicklich wurde es still im Raum.
    »Nicht hier ist? Wohin will er denn?«, fragte Evans-der-Fleischer.
    »Haben Sie nicht gehört?« Der Reverend schaute von Gesicht zu Gesicht. »Er vermietet den Sommer über sein Haus. Seine Frau geht runter nach Barmouth, um ihre Mutter zu versorgen.«
    Es gab gedämpfte Begeisterungsrufe, und irgendwer hinten im Raum murmelte »Gott sei Dank«.
    »Er vermietet sein Haus?« Harry-der-Pub tauchte, sich die Hände an seiner Schürze abtrocknend, neben Betsy auf. »Die Powell-Jones ziehen den Sommer über aus? Wo haben Sie denn das her?«
    »Unsere Putzfrau, Elen, ist mit deren Putzfrau Gladys befreundet. Elen hat es also aus erster Hand, sozusagen. Sie berichtete, er habe heute Nachmittag am Telefon alles arrangiert, und dann hat er Gladys gefragt, ob sie am Wochenende kommen, beim Packen helfen und noch einmal ordentlich sauber machen könne. Gladys sagte, er habe ihr dafür fünfzig Pfund extra geboten.«

    »Fünfzig Pfund? Das passt aber gar nicht zu ihm«, rief Betsy. »Gewöhnlich ist er ein alter Geizkragen.« Sie sah, dass Harry-der-Pub die Stirn runzelte. »Das weiß doch jeder im Dorf. Auf der letzten Kirmes am Kokosnuss-Wurfstand, den ich betreut habe, hat er sich nur einen einzigen Versuch geleistet.«
    »Du hättest die Kusskabine übernehmen sollen«, sagte Barry-der- Raser. »Da hättest du mehr Erfolg gehabt.«
    »Dich hätte ich jedenfalls nicht gelassen, nicht mal für hundert Pfund«, gab Betsy schnell zurück.
    »Haltet doch mal eine Minute die Klappe«, unterbrach Evans-der- Fleischer. »Hat Gladys gesagt, wer das Haus den Sommer über mietet? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mrs. Powell-Jones Fremde in ihr Haus lässt. Das sieht ihr überhaupt nicht ähnlich.«
    »Keine Ahnung«, gestand Reverend Parry Davies, »aber ich habe den Eindruck, es ist jemand Bedeutendes.«
    »Ich weiß, wer es ist«, tönte eine Stimme aus der Menge. Die Köpfe drehten sich dem jungen Trefor Dawson zu, einem Neuankömmling, der im Everest lnn Reparaturarbeiten machte. »Jedenfalls glaube ich, dass ich es weiß«, fügte er hinzu, sich durchaus bewusst, dass er im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.
    »Na los, spuck's schon aus,
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