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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg
Autoren: Petra Oelker
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er den Alten getroffen, einen echten Pilger. Der hatte ihn angesehen, prüfend, mit skeptischen Augen. , hatte er schließlich gesagt. Wenn man bereit sei, sei der Weg zu diesem Ort ein heilsamer Weg. Immer.
    Er hatte gelacht, damals, hatte sich unbehaglich gefühlt unter dem Blick des fremden Mannes. Aber der hatte ihm die Hand auf den Arm gelegt, ganz leicht nur, und doch hatte die Berührung etwas in ihm ausgelöst, das er nicht verstanden hatte. Er hatte Tränen aufsteigen gespürt, zum ersten Mal in all der Zeit auch seine schwarze Einsamkeit und zugleich etwas Tröstliches. Etwas Demütiges.
    Was für eine kitschige Szene, dachte er jetzt, doch genau so war es gewesen. Er hatte es in den vielen Jahren, die seither vergangen waren, nie jemandem erzählt. Vielleicht weil er fürchtete, der Zauber verlöre dann seine Wirkung. Denn ein Zauber war es gewesen. Inzwischen hatte er gelernt, dass es etwas zutiefst Menschliches war, die Not eines anderen zu erspüren, eines Fremden gar, bevor der selbst sie erkannte oder sich eingestand, und über einen guten Rat hinaus von der eigenen Kraft zu geben. Und von der Zuversicht.
    Es war nicht gleich alles anders geworden, nicht einfach so. Aber das war der Anfang gewesen. Er war den Sternen gefolgt, und er war angekommen. Zuerst in Santiago de Compostela, dann, später in diesen Bergen, bei sich selbst.
    Diese hellen Sterne dort, hoch über ihm, konnten ihm nichts anhaben. Sie bedeuteten sein Glück, die dunklen hatte er aus seinem Leben verbannt. Eine kindliche Vorstellung, sie gefiel ihm trotzdem. Oder gerade deshalb.
    Er lehnte sich zurück gegen den rauen Stein und lauschte träge in die Nacht. Für einen Moment glaubte er den Jungen weinen zu hören, das musste eine Täuschung sein, er war ja nicht mehr hier. Und das andere Kind, das in seiner Erinnerung lebte, hörte er schon lange nicht mehr.
    Es war Zeit, umzukehren, Zeit, sich von diesem Blick auf die Bergkette und in den Himmel zu trennen. Es knackte hinter ihm im Gebüsch, er hielt den Atem an und lauschte, nur um gleich heftig auszuatmen. Er fürchtete sich nie, wenn er allein durch Berge ging, nachts umso weniger, als dann die Menschen schliefen, die einzige wirklich gefährliche Spezies.
    Er reckte die Schultern, sie waren trotz der warmen Jacke in der Nachtkälte steif geworden, er begann alt zu werden. Noch einmal lauschte er, nur um unwillig den Kopf zu schütteln. Auch die stillsten Nächte waren voller Geräusche, wenn man erst einmal begonnen hatte, genau zu hören. Er war nicht bereit, sich beunruhigen zu lassen.
    So folgte er wie gewöhnlich dem vertrauten Pfad durch das Dickicht, den er immer ging, überquerte die Brücke über den Bach und ertappte sich doch dabei, wie er beständig zurücklauschte. Obwohl es ihn ärgerte, fühlte er etwas, das er nicht zuordnen konnte. Er achtete auf solche Zeichen und nahm sie für gewöhnlich ernst. Wer in dieser rauen Landschaft lebte, fern der Ablenkungen und Abstumpfungen des modernen Lebens, lernte schnell, diese Dinge zu respektieren. Im Laufe der Jahre waren seine verkümmerten Instinkte wieder wach geworden. Doch dieses Gefühl vager Bedrohung hatte seinen Ursprung nicht in der gegenwärtigen Realität. Es kam aus der Vergangenheit, wucherte aus den Gedanken, die ihn in den letzten Tagen bedrängten. Für einen Moment überlegte er, die Abkürzung quer durch die Narzissen auf der weiten Wiesenfläche zu nehmen, doch seine Füße folgten wie von selbst dem üblichen Pfad, der weiter hinauf und am Rand der Schlucht entlang zurück zum Hof führte.
    Wenn jetzt ein Wolf heulte, wenn der schmale Mond hinter der dunklen Wolkenwand verschwände, die von Norden aufzog, würde er doch schneller gehen, vielleicht.
    Als die Wolken den Mond erreicht hatten, als die Nacht noch schwärzer wurde, brach hinter ihm knackend ein trockner Ast, und als gleich darauf ein paar Steine in die Schlucht hinabrutschten, blieb er stehen und sah sich um. Er erkannte nicht, was oder wer hinter ihm war, er wusste nur, es war kein Wolf, ganz gewiss auch kein Bär. Dazu war dieses Schattenwesen zu schlank und zu geschmeidig. Er erkannte seinen Feind nicht, er spürte den Schlag, in hilflosem Staunen den tiefen Fall. Also hatten sie ihn schließlich doch gesucht. Und gefunden.
     

Kapitel 1
     
     
     
    Sonntag / 1. Tag
     
    «Letzter Aufruf für Frau Eleonore Peheim, gebucht für Flug LH
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