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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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verschiedene Preise. Später drehte sie nur noch sporadisch diesen oder jenen Film, wenn ihr, wie sie sagte, das »Thema keine Ruhe ließ«. Inzwischen spielte Tobias verzückt Oboe, und beide führten achtzehn Jahre lang eine etwas versponnene, aber glückliche Ehe.
    Was mich betrifft, hatte mir meine Zeit bei der Bundeswehr kein Trauma hinterlassen, ja nicht einmal einen nachhaltigen
Eindruck. Die Offiziere, die mich beruflich anbrüllten, waren privat recht umgänglich, und der heutzutage gesetzlich genehmigte Drill hatte aus keinem von uns Hackfleisch gemacht. Es war sozusagen eine Generationsfrage, dass ich ein recht bequemes Leben führen konnte. Mit dem Ergebnis, dass ich wenig zähen Ehrgeiz entwickelte und tendenziell wohl den »Softies« zuzuordnen war, einer Gattung, die angeblich bei Frauen gut ankommt. Auch als Erwachsener war ich eigentlich nicht viel anders als früher: Ich hatte einen Kopf, da war ziemlich viel drin, keine Haare auf der Brust, und ansonsten benahm ich mich weltfremd. Mit zwölf, da entsinne ich mich gut, war mir in der Schulbibliothek ein illustrierter Astronomieatlas für den Grundschulunterricht in die Hände gefallen. Ich hatte aufmerksam die Bilder studiert, die mir wunderbar rätselhaft vorkamen, hatte mit dem Zeigefinger jeden Planeten im Sonnensystem markiert. Das Buch  – und alle anderen Astronomiebücher, die ich danach studierte – waren für mich eine Fundgrube unwiderlegbarer Offenbarungen. Ich las Bücher, die eigentlich nicht für mein Alter bestimmt waren: Isaac Newton und das Schwerkraftgesetz, die »Parallax-Methode« von A. Singer, der »Balanceprozess einer Sonnen-Eruption« von einen Astronomen, dessen Name mir entfallen ist, und auch der »Geist der Materie« von Jean Émile Charon, der, wie ich inzwischen erfahren habe, am Ende seine Affinität zu Gott entdeckte und in der Klapsmühle landete. Vielleicht sollte man nicht zu viel Schaum schlagen.
    Natürlich verstand ich anfänglich nicht viel von dem, was ich in solchen Büchern las. Sie interessierten mich einfach, ich konnte selbst nicht sagen, warum. Dennoch waren diese Lektüren nicht vergeudet. Wenn mir in späteren Jahren eine Stelle, deren ich mich gut erinnere, durch den Kopf ging, blitzte ihr Sinn wie ein überraschender Sonnenstrahl vor mir auf.

    Tatsache ist, dass weder Mathematik noch Theologie einem kleinen Jungen Kopfzerbrechen machen. Oft, wenn ich die Dummheit der Erwachsenen sehe (meine eigene inbegriffen), wundere ich mich, was aus diesen neugierigen Kindern später geworden ist. Die Freude am Experimentieren, und sei es nur in Gedanken, ist einfach weg. Damals kam mir jedenfalls die Idee, dass, wenn sich die Schwerkraft der Sternenhaufen nur geringfügig verändern würde, neue Organismen auf der Welt entstehen könnten. Das aufregendste Ergebnis dabei wäre der Embryo einer neuen Menschheit. Folglich bastelte ich ein Modell aus Papier, Klebstoff und Pappe und schickte die Konstellationen beherzt auf andere Bahnen. Natürlich landete das Embryo der neuen Menschheit schließlich im Papierkorb, dessen Inhalt unsere Putzhilfe entsorgte. Dann starb mein Vater, und ich färbte mein Haar grün. Dass ich es trotzdem bis zum Gymnasium schaffte, habe ich Amalia zu verdanken, die, nachdem wir schon Florenz und Siena besichtigt hatten, plötzlich beschloss, mit mir nach Rom zu fahren. Nein, sie wollte mit mir nicht zum Papst, sondern mir lediglich die Sixtinische Kapelle zeigen. Ich war einverstanden. Ich war mit allem einverstanden, seitdem ich meinen Seelentrost bei Caravaggio entdeckt hatte.
    In der Kapelle standen wir, zwischen Touristen eingeklemmt, und starrten mit steifem Nacken nach oben. Das Schicksal wollte, dass ich die Erklärung einer Führerin aufschnappte, die mich so tief prägte wie kaum etwas in meinem bisherigen Leben. Hätte die Frau englisch gesprochen, wäre ich gelangweilt an ihr vorbeigeschlurft. Aber sie sprach deutsch, und so blieb ich stehen. Zunächst fiel mir auf, wie attraktiv diese Frau doch war, vollbusig, lebhaft, mit Haaren wie schwarze Schlangen. Sie warf dieses Haar hin und her, während sie einem aufmerksamen Halbkreis von Touristen erklärte, es gäbe unter Neurologen die Ansicht, Michelangelo
habe der Wolke, aus der Gottes Finger ragte, die Form des menschlichen Gehirns gegeben. Wobei Gottes Finger den Geist darstellte, der Adam
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