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Tochter des Glueck

Tochter des Glueck

Titel: Tochter des Glueck
Autoren: Lisa See
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nehmen wie der Kapitän? Oder wird etwas völlig anderes geschehen?
    Meine Mutter sagte immer, China sei korrupt. Ich dachte, solche Dinge hätten sich mit der Machtübernahme der Kommunisten erledigt, aber offenbar nicht ganz. Was würde meine Mom tun, wenn sie hier wäre? Sie würde ihr Geld verstecken, wie zu Hause. Als ich wieder in der Kabine bin, nehme ich alles Geld, das ich ihr aus dem Versteck unter dem Spülbecken gestohlen habe, teile es in zwei Stapel, wickle den höheren Betrag in ein Taschentuch und stecke ihn an meiner Unterwäsche fest. Den Rest – 250 Dollar – schiebe ich in meinen Geldbeutel, zusammen mit dem neuen chinesischen Geld. Dann verlasse ich mit meinem Koffer die Kabine und gehe von Bord.
    Es ist acht Uhr morgens, und die Luft ist dick, schwer und heiß wie Kartoffelsuppe. Mit den anderen Passagieren werde ich in einen stickigen Raum gedrängt, in dem Zigarettenrauch steht und es penetrant nach Essen riecht, das bei diesem Wetter zu lange ungekühlt herumstand. Die Wände sind in einem scheußlichen Erbsengrün gestrichen. Die Luft ist so feucht, dass die Fenster beschlagen. In Amerika würden die Leute ordentliche Schlangen bilden. Hier drängen sich meine Mitreisenden in einer pulsierenden Masse zu dem einen Abfertigungsschalter. Ich halte mich am Rand, denn nach meiner Erfahrung mit der Passkontrolle in Hongkong bin ich nervös. Es geht sehr langsam voran, immer wieder kommt es zu Verzögerungen, aus Gründen, die ich weder sehen noch erahnen kann. Es dauert drei Stunden, bis ich vor dem Schalter stehe.
    Ein Inspektor in einer schlecht sitzenden graugrünen Uniform fragt: »Was ist der Grund für deinen Besuch, Genossin?«
    Er spricht Shanghaier Dialekt. Darüber bin ich froh, dennoch sollte ich ihm wohl nicht die Wahrheit sagen – dass ich gekommen bin, um meinen Vater zu suchen, aber keine Ahnung habe, wo genau er sich aufhält oder wie ich ihn ausfindig machen soll.
    »Ich möchte beim Aufbau der Volksrepublik China helfen«, antworte ich.
    Er verlangt meine Papiere und bekommt große Augen, als er meinen amerikanischen Pass sieht. Er sieht mich an und dann wieder das Foto. »Du hast Glück, dass du dieses Jahr gekommen bist und nicht letztes. Der Vorsitzende Mao sagt, dass Überseechinesen keine Einreiseerlaubnis mehr beantragen müssen. Ich brauche nur einen Identitätsnachweis, und den hast du mir gegeben. Würdest du dich als staatenlos bezeichnen?«
    »Als staatenlos?«
    »Es ist illegal, als amerikanischer Staatsbürger durch China zu reisen«, sagt er. »Du bist also staatenlos?«
    Ich bin neunzehn. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, eine uninformierte und unwissende Ausreißerin zu sein. Ich möchte nicht zugeben, dass ich nicht genau weiß, was staatenlos bedeutet.
    »Ich bin nach China gekommen, um dem Aufruf an patriotische Chinesen aus den Vereinigten Staaten zu folgen, dem Volk zu helfen.« Ich sage auf, was ich in meiner Gruppe in Chicago gelernt habe. »Ich möchte der Menschheit einen Dienst erweisen und beim nationalen Aufbau helfen!«
    »Na dann«, sagte der Inspektor.
    Er lässt meinen Pass in eine Schublade fallen und verschließt sie. Das beunruhigt mich.
    »Wann bekomme ich meinen Pass wieder?«
    »Gar nicht.«
    Ich bin nie auf die Idee gekommen, dass ich meine Rechte aufgeben würde, sollte ich China jemals wieder verlassen und in die Vereinigten Staaten zurückkehren wollen. Ich habe das Gefühl, hinter mir ist eine Tür zugefallen und verschlossen worden. Was soll ich später tun, wenn ich wegwill und den Schlüssel nicht habe? Die Gesichter meiner Mutter und meiner Tante blitzen vor mir auf, und all das Gefühlsdurcheinander und die Traurigkeit unserer letzten gemeinsamen Tage kommen an die Oberfläche. Ich werde nie zurückkehren. Niemals.
    »Das persönliche Gepäck von Überseechinesen muss durchsucht werden«, verkündet der Inspektor und zeigt auf ein Schild, auf dem steht: BEVORZUGTE ZOLLABFERTIGUNG VON ÜBERSEECHINESEN . »Wir suchen nach Konterbande und versteckten Devisen.«
    Ich öffne den Koffer, und er wühlt den Inhalt durch. Er konfisziert meine BH s, was man lustig finden könnte, wäre ich nicht so überrascht und ängstlich. Mein Pass und meine BH s?
    Er sieht mich streng an. »Wäre die Aufseherin hier, würde sie dir auch den wegnehmen, den du gerade trägst. Reaktionäre Kleidung hat keinen Platz im Neuen China. Wirf das anstößige Stück so bald wie möglich weg.« Er macht meinen Koffer wieder zu. »So, und wie viel Geld hast
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