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Tochter des Glueck

Tochter des Glueck

Titel: Tochter des Glueck
Autoren: Lisa See
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Mutter denken. Ich nehme das Beutelchen mit den drei Sesamkörnern, den drei Mungobohnen und den drei Münzen von meinem Hals und hänge es Ta-ming um.
    »Das beschützt dich«, sage ich. »Du bist nur kurz da drinnen. Ich spreche während der ganzen Fahrt mit dir, aber du musst dich ganz still verhalten.«
    Dieser Junge hat so viel durchgemacht, und doch steigt er gehorsam in das Fass und schlingt die Arme um die Beine. Der Tarndeckel wird aufgelegt, die Seepferdchen kommen wieder darauf, und das Fass wird verschlossen.
    Joy klettert in einen größeren Schweinekorb und wird auf die Mitte der Ladefläche gehoben. Der Korb mit Samantha und den Ferkeln wird neben sie gestellt, und dann werden die anderen Körbe um sie herum und auf sie geschichtet. Ich klettere auf den Laster mit Ta-mings Fass und steige in einen Jutesack. Hunderte kleiner Schlangen, die zu ordentlichen Spiralen getrocknet sind, werden über mich geschüttet, dann wird der Sack zugebunden. Ich höre, wie drei Türen zugeworfen werden, dann werden die Motoren angelassen. Der Laster mit Joy, Samantha und Z. G. fährt zuerst los, danach startet auch der Laster, auf dem ich sitze, ruckartig.
    Ich bin von völliger Dunkelheit umgeben, bedeckt von getrockneten Schlangen, starr vor Angst. Ich spreche mit Ta-ming, in der Hoffnung, dass er mich hören kann. Ich sehe nichts und kann nur durch das, was ich spüre und höre, erahnen, was geschieht. Der Laster kommt zum Stehen, wartet, rollt ein Stückchen weiter, bremst wieder. Ich höre Wasser. Dass muss der Sham-Chun-Fluss sein, die Grenze zwischen Festlandchina und Hongkongs Neuen Territorien, das heißt also, wir sind schon auf der Lo-Wu-Brücke. Mein Vater hatte recht. Die Grenzüberquerung ist relativ einfach; die Wagenkolonne bewegt sich ziemlich schnell.
    Ein Mann, wahrscheinlich ein Grenzposten, sagt: »Bitte gebt uns eure Reisedokumente.« Ich habe Angst, aber ich lächle dennoch. Der Laster mit Joy und dem Baby war vor uns. Was immer nun geschehen mag, meine Tochter und meine Enkelin sind draußen. Z. G. auch.
    »Dich habe ich ja eine ganze Weile nicht gesehen, Genosse Chin«, sagt der Grenzposten zu meinem Vater.
    »Wir hatten in der Kommune viel zu tun«, erwidert mein Vater.
    »Was bringst du heute über die Grenze?«
    Meine Brust krampft sich zusammen, mein Magen drückt gegen die Lunge, und mein Herz schlägt so fest, dass ich es hören kann.
    »Das Übliche. Wir sind auf dem Weg zum Arzneimittelgroßmarkt.«
    »Ah, ja. Na gut, wir sehen uns später auf dem Rückweg wieder.«
    Knirschend wird der Gang eingelegt, und wir rollen über die Brücke. Der Laster biegt ein paarmal links ab und dann noch einmal rechts. Schließlich bleiben wir stehen. Die Tür des Lasters wird geöffnet. Gleich darauf bindet jemand meinen Sack auf. Ich stehe auf und wische mir die getrockneten Schlangen vom Körper. Dann öffne ich Ta-mings Fass und ziehe ihn heraus. Er ist weiß wie ein Gespenst und zittert. Ich umarme ihn. »Wir haben es geschafft«, sage ich zu ihm.
    Ich helfe Ta-ming vom Laster herunter. Mir zittern die Knie vor Angst und wegen der zusammengekauerten Haltung im Jutesack. Vor uns sind Z. G. und der Cousin noch immer damit beschäftigt, die Schweinekörbe auseinanderzurücken. Rasch eile ich zu ihnen, um ihnen zu helfen. Innerhalb weniger Minuten steht Joy mit dem Baby – ein bisschen zerschrammt, aber immer noch sanft schlummernd – bei uns auf der Straße. Wir sind emotional und körperlich so erschöpft, dass wir weder jubeln noch uns umarmen. Erleichterung verspüre ich trotzdem, als drei Jahre Kummer und Sorge von mir abfallen. Wir sind alle ein wenig benommen, und es wird lange dauern, bis alles so richtig in unser Bewusstsein gedrungen ist, aber wir sind draußen . Wir könnten rechtzeitig zum Mittagessen in Mays Hotel sein – was vor ein paar Stunden noch undenkbar gewesen wäre.
    »Hier«, sagt mein Vater. Er drückt mir einen Beutel in die Hand. »Das ist für dich und May. Es sind Fotos und ein paar Dinge, die ich aufgeschrieben habe, über eure Mutter, was damals geschehen ist … alles.«
    »Schade, dass wir nicht mehr Zeit haben«, sage ich.
    »Ja, das finde ich auch«, meint mein Vater. »Vielleicht können wir eines Tages alle zusammen sein. Vielleicht kannst du eines Tages mit May herkommen, und wir können uns treffen. Meinst du, ihre beide hättet Lust dazu?«
    Ich nicke. Ich kann meine Gefühle nicht mit Worten ausdrücken.
    Zu dem Cousin sagt er: »Wir müssen uns beeilen. Je
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