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Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte

Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte

Titel: Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte
Autoren: Lawrence Beesley
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Schiffsrumpf
fortzukommen). Dort pflegte ich die allgemeinen Bewegungen des Schiffes durch
die Wellen zu analysieren. Sie teilten sich in zwei Komponenten – eine gegen
die rückwärtige Brücke zu beobachten, von wo aus die Logleine durch die
schäumende Heckwelle gezogen wurde, gegen den Horizont: als langes langsames
Heben und Senken, wie wir auf- und abritten. Ich maß die mittlere Periode, die
gebraucht wurde für einen Auf- und einen Abstieg, aber ich kann mich nicht mehr
an die Zahlen erinnern. Die zweite Bewegung war das
»Von-einer-auf-die-andere-Seite-Rollen« und konnte wie zuvor durch Beobachtung
der Backbord-Reling gegen den Horizont berechnet werden. Es scheint so, als
stünde die Doppelbewegung in Zusammenhang mit dem Winkel unseres Kurses nach
New York und der allgemeinen Strömungsrichtung des Golfstroms, der vom Golf von
Mexiko nach Europa fließt. Aber es war die meist zeitgleiche Wiederkehr der
beiden Bewegungen, die meine Aufmerksamkeit erregte. Es war während der
Beobachtung des Seitenrollens, als ich der Schlagseite nach Backbord gewahr
wurde. Nach hinten sehend, vom Bootsdeck oder B-Deck zum Achterdecksteil,
beobachtete ich oft, wie die Dritte-Klasse-Passagiere fröhlich ihre Zeit
verbrachten: ein sehr lärmendes Seilspringen eines gemischten Doppels war die
große Zugnummer, während ein Schotte »hin und her und rundherum« ging und auf
seinem Dudelsack etwas spielte, das Gilbert als Ȋhnlich wie mit kraftloser
Luft gespielt« bezeichnet hätte. Abseits von allen, meistens oberhalb des
Hinterdecks über dem Spielfeld, stand ein Mann von 20 oder 24 Jahren, gut
angezogen, immer behandschuht und hübsch gepflegt, und ganz bestimmt völlig
fehl am Platze zwischen seinen Mitpassagieren: die ganze Zeit sah er nie
fröhlich aus. Ich beobachtete ihn und betrachtete ihn als ebenso gefährlich wie
den Mann, der zu Hause auf irgendeine Art ein Versager ist und nun den
sprichwörtlichen Shilling und dazu eine Dritte-Klasse-Überfahrt nach Amerika
erhalten hat. Er sah nicht energisch genug aus oder glücklich, als daß er seine
Probleme würde lösen können. Ein anderer interessanter Mann war der Reisende
dritter Klasse, der seine Frau in der zweiten Klasse einquartiert hatte: Er kam
die Stufen vom Achterdeck zum B-Deck herauf, um sich mit seiner Frau aufs
zärtlichste über der kleinen Pforte zu unterhalten, die sie trennte. Ich sah
ihn nicht mehr nach der Kollision, aber ich glaube, seine Frau war auf der Carpathia. Daß sie sich in jener Sonntagnacht gesehen haben, ist sehr
unwahrscheinlich. Zunächst wäre es ihm nicht erlaubt worden, sich auf dem
Zweite-Klasse-Deck aufzuhalten, und als er es doch durfte, wären die Chancen,
seine Frau in der Dunkelheit und in der Menschenmenge zu erkennen, wirklich
sehr klein gewesen. Von allen, die so glücklich auf dem Achterdeck spielten,
bemerkte ich später nur wenige auf der Carpathia.
    Kommen wir
nun zum Sonntag, dem Tag an dem die Titanic den Eisberg streifte! Es ist
sicherlich interessant, diese Tagesereignisse mehr im einzelnen aufzuzeigen, um
die allgemeine Lage der Passagiere und ihrer Umgebung vor dem Zusammenstoß
richtig einschätzen zu können. Die Morgenandacht im Salon wurde vom Zahlmeister
gehalten, und als wir nach dem Mittagessen an Deck gingen, bemerkten wir eine
solche Temperaturänderung, daß nicht viele es vorzogen, sich dort dem kalten
Wind auszusetzen – einem künstlichen Wind, der hauptsächlich, wenn nicht
vollständig, durch die rasche Fahrt des Schiffes und die eisige Atmosphäre
verursacht wurde. Ich bin sicher, es wehte zu dieser Zeit kein Wind. Ich hatte
die gleiche Windstärke beim Ankommen in Queenstown bemerkt, die erstarb, als
wir stoppten, um wieder aufzuleben, als wir den Hafen verließen.
    Zur
Bibliothek zurückkehrend, hielt ich mich einen Moment damit auf, das Etmal zu
lesen und unsere Position auf der Karte zu betrachten. Dort traf ich Reverend
Carter, einen Geistlichen der Kirche von England. Wir nahmen unsere vor einigen
Tagen geführte Unterhaltung mit einer Diskussion über die Vorzüge seiner
Universität – Oxford – und meiner – Cambridge – als weltweit führende
Erziehungsstätten wieder auf. Wir sprachen über die Möglichkeiten der
Universitäten zur Charakterbildung, unabhängig von der Erziehung als solcher,
und leiteten über zum Mangel an ausreichend qualifizierten Mitarbeitern, die
die Arbeit der Kirche von England vorantreiben (eine Angelegenheit, die ihn
tief bewegte) und von diesem Punkt zu
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