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Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte

Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte

Titel: Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte
Autoren: Lawrence Beesley
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und dauernd Textstellen aus der Bibel erklärend, die
vor ihm aufgeschlagen lag. In ihrer Nähe stand ein Feuerwehr-Ingenieur, der
sich auf dem Weg nach Mexiko befand, der gleichen Religion zugehörig wie der
Rest der Gruppe. Niemand von ihnen wurde gerettet. Es soll an dieser Stelle
gesagt werden, daß der Prozentsatz der geretteten Männer der zweiten Klasse der
niedrigste von allen war – nur acht Prozent. Viele andere Gesichter tauchen in
Gedanken auf, aber es ist unmöglich, innerhalb eines kurzen Buches alle zu
beschreiben: von allen an diesem Nachmittag in der Bibliothek befindlichen kann
ich mich nur an zwei oder drei erinnern, die den Weg auf die Carpathia fanden.
Den Raum bis zum Ende mit seinen Bücherregalen übersehend, steht der
Bibliotheks-Steward, dünn, gebeugt und traurig blickend. Im allgemeinen ist er
mit nichts anderem beschäftigt als mit der Bücherausgabe, aber an diesem
Nachmittag ist er fleißiger, als ich ihn je sah, er gibt Gepäck-Inhaltserklärungen
an die Passagiere aus, die sie ausfüllen sollen. Die meine liegt jetzt vor mir,
während ich schreibe: »Formular für Besucher der Vereinigten Staaten.
Dampfschiff Titanic: Nr. 31444, D« usw. Ich habe sie an jenem Nachmittag
ausgefüllt und in mein Taschenbuch gesteckt, anstatt sie dem Steward
zurückzugeben. Außerdem liegt vor mir ein schmaler Kartonabschnitt: »White Star
Line. R.M.S. Titanic. 208. Dieser Anhänger muß ausgehändigt werden, wenn
der Gegenstand zurückgegeben wird. Das Eigentum wird im Safe des Zahlmeisters
aufbewahrt werden. Die Gesellschaft ist nicht schadensersatzpflichtig gegenüber
den Passagieren, für den Verlust von Geld, Juwelen oder Schmuck durch Diebstahl
oder sonstwie, wenn diese nicht eingeschlossen werden.«
     
     
    In meinem Fall war das
»hinterlegte Eigentum« Geld in einem Briefumschlag, versiegelt, beschrieben mit
meinem Namen über der Klappe und an den Zahlmeister gegeben; der Abschnitt ist
meine Quittung. Mit anderen Briefumschlägen zusammen ist er vielleicht noch
unbeschädigt im Safe auf dem Meeresgrund, aber aller Wahrscheinlichkeit nach
ist er es nicht, wie wir gleich sehen werden.
    Nach dem
Abendessen bat Herr Carter alle, die es wünschten, in den Salon, und mit der
Unterstützung eines Mannes am Klavier, der mir am Zahlmeistertisch gegenübersaß
(ein junger schottischer Ingenieur, der auswanderte, um bei seinem Bruder
mitzuarbeiten, der eine Fruchtplantage am Fuße der Rocky Mountains betrieb),
brachte er einige hundert Passagiere dazu, Kirchenlieder zu singen. Sie wurden
aufgefordert, sich jedes beliebige Lied auszusuchen, aber bei so viel
Gewünschtem war es ihm unmöglich, mehr zu tun, als die allgemeinen
Lieblingsstücke anzustimmen. Wenn er die Stücke ankündigte, war es
offensichtlich, wie sehr er mit deren Geschichte vertraut war: kein Stück wurde
gesungen, ohne daß er eine kurze Anekdote über dessen Urheber erzählte oder in
einigen Fällen die Umstände beschrieb, unter denen es komponiert wurde. Ich
denke, alle waren beeindruckt von seinem Wissen über Kirchenlieder und seinem
Eifer, uns davon zu erzählen. Es war merkwürdig zu sehen, wie viele Anwesende
solche Lieder auswählten, die sich mit den Gefahren der See befaßten. Ich
bemerkte den andächtigen Unterton, mit dem alle die Hymne »Für alle in
Lebensgefahr auf See« sangen.
    Der Gesang
muß länger als bis 22.00 Uhr gedauert haben, denn wir sahen den Steward
bereitstehen, darauf wartend, Kekse und Kaffee servieren zu dürfen, bevor er
seinen Dienst beendete. Mit einigen Dankesworten an den Zahlmeister für die
Erlaubnis, den Salon benutzen zu dürfen, und mit einer kleinen Geschichte über
das Glück und die Sicherheit der bisherigen Reise, das große Vertrauen aller an
Bord in dieses große Schiff und die glückliche Aussicht auf die Ankunft in ein
paar Stunden in New York zum Abschluß einer angenehmen Überfahrt, brachte Herr
Carter den Abend zu Ende. Die ganze Zeit, die er zu uns sprach, lag ein paar
Meilen vor uns die »Gefahr der See«, die dieses große Schiff zum Sinken bringen
würde, mit vielen von jenen an Bord, die gerade mit Dankbarkeit diesen
einfachen, zu Herzen gehenden Worten lauschten. Soviel zu der Zerbrechlichkeit
der menschlichen Hoffnungen und dem Vertrauen, welches einem Menschenwerk
entgegengebracht wurde! Denke an die Schande, daß eine nichtsnutzige Masse Eis
die Kraft haben wird, die wundervolle Titanic zu vernichten! Daß ein
unsensibler Eisblock im ungünstigen Fall fähig sein wird,
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