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Timm Thalers Puppen

Timm Thalers Puppen

Titel: Timm Thalers Puppen
Autoren: James Krüss
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MIR PANTALONES
    GESCHICHTE ÜBER EINEN GEWISSEN KAPITÄN SPAVENTA
    NACHERZÄHLEN LASSE. FÜHRT EINEN WANDELBAREN
    BARON IN DEN VENEZIANISCHEN GASSEN VOR UND JAGT
    MIR ANGST EIN UM TIMM THALERS SOHN, ALS DER BARON
    EINE BEMERKUNG ÜBER IHN MACHT.

    Dort, wo die Moseskirche in Venedig ihre
    reichgeschmückte Vorderseite zeigt, geschmückt mit
    steinernen Girlanden, Säulen und Figuren, genau dem
    Hauptportal gegenüber, schaukeln neben einem Brückchen meist mehrere schwarze Gondeln auf dem Wasser eines
    kleinen Kanals, den man den Fluß des heiligen Moses nennt.
    Zu dieser Stelle ging ich mit Timm Thaler, der Schlag neun Uhr in mein Hotel gekommen war. Wir wollten durch Venedig gondeln.
    Seltsamerweise lag nur eine einzige Gondel an der Brücke, als wir kamen, und die war obendrein besetzt. Aber der Mann, der in ihr saß, rief uns, als wir nach einer Gondel Ausschau hielten, zu: »Die anderen Gondeln, meine Herren, sind belegt.
    Von einer Reisegesellschaft. Darf ich Sie einladen, mit mir zu fahren? Ich langweile mich hier ohnedies so ganz allein. Sie dürfen Ziel und Weg auch selbst bestimmen. Ich will nur gondeln, weiter nichts.«
    Mit einer eleganten Bewegung beider Hände lud er uns ein, die Gondel zu besteigen; und nach kurzem Zögern folgten wir, da keine Gondel sonst zu sehen war, der Einladung des Fremden.
    Für Leute, die auf so etwas achten, war er nicht ganz korrekt gekleidet und ein bißchen reisefleddrig. »Wohl ein Vertreter«, dachte ich. Das Deutsche sprach er singend aus wie die Franzosen.
    Wir dankten ihm, als uns der Gondoliere in das Boot half, worauf er, etwas seltsam lächelnd, fragte, auf welchem Weg wir durch Venedig fahren möchten.
    Ich schlug vor, zuerst den Canal Grande hinaufzufahren, das große Fragezeichen aus Wasser, das Venedig durchfließt, und hinter der Rialtobrücke rechts einzubiegen in das Netz der kleinen Kanäle. Der Fremde war mit diesem Plan
    einverstanden. So übersetzte Timm dem Gondoliere meinen Vorschlag, und bei der sanften Bewegung des langen Ruders, die man im Deutschen Wriggen nennt und die man in Venedig stehend ausführt, glitten wir zwischen hohen Häuserwänden auf dem Kanälchen dahin. Eine einfachere Gondel, die über und über mit Kisten voller Tomaten beladen war, kam uns entgegen. Die beiden Gondolieres grüßten sich. Dann fuhren wir ein in den breiten Canal Grande und bogen hier rechts ab.
    Als wir nun, zwischen vielen Lasten- und Touristengondeln und zwischen Dampfern, die hier die Busse ersetzen, leise schaukelnd den Canal Grande hinauffuhren, zur Linken die Kirche Santa Maria della Salute, von der das vordere grüne Kuppeldach zu sehen war, gekrönt von einem durchbrochenen Aufsatz, den abermals ein Kuppeldächlein krönt, auf dem eine Marienfigur steht, als wir zur Rechten Gassen, Gärtchen, Katzen und Balkönchen sahen und dann vorbeifuhren an alternden Palästen, vor deren Eingängen Bootspfosten aus dem Wasser ragen, rot-weiß oder blau-weiß geringelt angestrichen, stellte der Fremde sich als Herr oder Monsieur El Baid vor, Franzose, aber in Algerien aufgewachsen, also mehr Afrikaner als Franzose. Er sei, so sagte er und verbeugte sich wie entschuldigend, bei einer Müll-Verwertungs-Firma angestellt.
    Wir stellten uns gleichfalls vor und versicherten, wir hätten gegen Müll-Verwertungs-Firmen gar nichts einzuwenden.
    Timm sagte sogar: »Ganz im Gegenteil, Monsieur. Wer so aufmerksam lebt, daß nichts bei ihm zu Müll wird, weil alles sinnvoll wiederverwendet wird, der ist hoch achtbar, meine ich.«
    »Aber von solchen Leuten könnte unsere Firma nicht
    leben«, sagte lachend Monsieur El Baid. Wir näherten uns jetzt der Rialto-Brücke mit den Basaren unter den zwölf Bögen, vor denen es von Käufern wimmelte. Monsieur El Baid, der vorn im Bug der Gondel saß, den Rücken in
    Fahrtrichtung, drehte sich halb zur Brücke um und halb uns zu und sagte: »Sehen Sie sich diese Läden an, diese Basare. Die machen Müll in großem Stil. Hier dreht sich’s ja um Geld, um Preise, um Handeln, Feilschen und Gewinn. Wenn hier am Abend die Basare geschlossen werden, meine Herren, bleibt Müll zurück, Abfall, unnütze Reste. Da hat kein Mensch mehr Zeit und Lust, sich darum noch zu kümmern. Und sehen Sie, dagegen hab ich nichts. Denn für den Müll sind wir ja da.«
    Timm wollte etwas erwidern; aber zur Rechten ging es jetzt in den Kanal hinein, der Rio di Fontego heißt, und wir mußten dem Gondoliere erklären, daß wir in diesen Kanal
    hineinfahren wollten.
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