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Timm Thaler

Timm Thaler

Titel: Timm Thaler
Autoren: James Krüss
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nicht
    ausdrücklich verboten ist. Ich gebe zu, daß es auch nicht
    ausdrücklich erlaubt ist; aber immerhin gestattet man es. Also,
    Timm, wie denkst du über meinen Vorschlag?“
    „Ich kenne Sie ja gar nicht“, sagte Timm leise. (Erst jetzt fiel ihm auf, daß der Herr ihn mit seinem Vornamen angeredet hatte.)
    „Aber ich weiß sehr viel von dir“, erklärte der Fremde. „Ich
    kannte deinen Vater.“
    Das gab den Ausschlag. Zwar konnte der Junge sich schwer
    vorstellen, daß sein Vater mit einem so merkwürdigen feinen Herrn Umgang gehabt hatte; aber da der Fremde Timms Namen wußte,
    mußte er wohl in irgendeiner Form mit dem Vater bekannt gewesen
    sein.
    Nach kurzem Zögern nahm Timm den ausgefüllten Wettschein
    an, holte das Fünfmarkstück aus seiner Tasche und ging zum
    Schalter. Das zweite Rennen wurde gerade durch Lautsprecher
    angekündigt. Deshalb rief der Fremde: „Mach schnell, ehe der
    Schalter geschlossen wird. Du wirst sehen, ich bringe dir Glück!“
    Der Junge gab dem Fräulein am Schalter Geld und Schein und
    bekam einen Wettabschnitt zurück. Als er sich wieder dem
    unbekannten Herrn zuwenden wollte, war der verschwunden.
    Das zweite Rennen begann, und das Pferd, auf das Timm gesetzt
    hatte, gewann mit fünf Längen Vorsprung. Der Junge erhielt am
    Schalter so viele Geldscheine, wie er sie noch nie auf einem Haufen gesehen hatte. Wieder wurde er abwechselnd blaß und rot. Aber
    diesmal vor Freude und Stolz. Strahlend zeigte er jedermann seinen Gewinn.
    Aber es ist merkwürdig, wie nah Freude und Traurigkeit
    beieinander wohnen. Plötzlich mußte Timm wieder an seinen Vater
    denken, den sie heute begraben hatten und der niemals so viel Geld gewonnen hatte. Die Augen des Jungen wurden feucht, und gegen
    seinen Willen begann er vor allen Leuten zu weinen.
    „He, Kleiner, wenn man so viel Glück hat wie du, dann weint
    man doch nicht“, sagte plötzlich eine Stimme neben ihm. Es war
    eine kehlige knarrende Männerstimme.
    Durch einen Schleier von Tränen sah Timm einen Mann mit
    einem zerknitterten Gesicht und einem ebenso zerknitterten Anzug.
    Links neben dem Mann sah ein langaufgeschossener rothaariger
    Bursche auf Timm herunter. Rechts stand ein kleiner feingekleideter Herr mit einer Glatze, der den Jungen teilnahmsvoll musterte.
    Die Männer schienen zusammenzugehören; denn alle drei fragten
    fast gleichzeitig, ob er nicht mit ihnen zusammen eine Limonade
    trinken wolle, um sein Wettglück zu feiern.
    Timm, dem die Freundlichkeiten und die glücklichen Umstände
    gerade an diesem Sonntag ganz unerwartet kamen, nickte, schluckte noch einmal und sagte dann: „Ich möchte dahinten im Garten
    sitzen!“ Dort hatte er nämlich oft mit seinem Vater zusammen
    Limonade getrunken.
    Die drei Männer sagten: „Gut, Junge, gehen wir in den Garten“,
    und setzten sich mit Timm in den Schatten einer dicken alten
    Kastanie.
    Der Fremde, dem der Junge sein Wettglück verdankte, zeigte sich
    nicht mehr. Und Timm vergaß ihn bald; denn die drei Männer am
    Tisch, die für sich selbst Bier und für den Jungen Waldmeister-
    Limonade bestellt hatten, munterten den glücklichen Gewinner mit
    den erstaunlichsten Spaßen auf. Der lange Rothaarige balancierte ein Glas Bier auf der Nase, ohne daß ein Tropfen verschüttet wurde; der Mann mit dem zerknitterten Gesicht und dem zerknitterten Anzug
    zog aus einem Kartenspiel immer genau die Karte heraus, die Timm
    aufs Geratewohl nannte; und der kleine Herr mit der Glatze machte Zauberkunststücke mit Timms Geldscheinen. Er wickelte sie in ein
    Taschentuch, knüllte das Tuch fest zusammen, faltete es wieder
    auseinander, und da – war das Geld verschwunden.
    Der Glatzkopf kicherte und sagte: „Greif mal in deine linke
    Rocktasche, Junge!“ Timm tat es und fand dort zu seinem Erstaunen das ganze Geld wieder.
    Dies war wirklich ein merkwürdiger Sonntag. Noch um zwei Uhr
    war Timm grenzenlos unglücklich durch die Stadt geirrt, und jetzt, um fünf Uhr nachmittags, lachte er so oft und so herzlich wie selten in der letzten Zeit. Mehrere Male verschluckte er sich sogar vor
    Lachen. Seine drei neuen Freunde gefielen ihm ungemein. Er war
    sehr stolz, drei erwachsene Bekannte gefunden zu haben, die
    überdies lauter seltene Berufe ausübten. Der zerknitterte Mann war ein Gelddrucker, der Rothaarige war Fachmann für Handtaschen,
    und der Glatzkopf nannte sich Buchmacher oder Büchermacher;
    Timm hatte das nicht so genau verstanden.
    Als er beim Kellner großspurig die
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