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Timm Thaler

Timm Thaler

Titel: Timm Thaler
Autoren: James Krüss
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einen netteren, freundlicheren Herrn ausgesucht hätte.
    Trotz allem: Timm war zu dem Geschäft mit dem Fremden bereit,
    und der Gedanke daran machte ihm Spaß. Er lachte plötzlich wieder sein altes Kinderlachen. Und allen Leuten gefiel das Lachen. Er hatte mit einem Male mehr Freunde als je zuvor.
    Es war kurios: Dieser Junge, der sich durch leidenschaftlieh
    ernste Annäherungsversuche und durch Hilfsbereitschaft und
    freiwillige Botengänge keine Freunde hatte schaffen können, dieser selbe Junge gewann durch nichts als sein Lachen beinahe jedermann zum Freund; zumindest mochte man ihn gern. Man verzieh ihm jetzt
    sogar Unarten, die man vorher getadelt hatte. So mußte Timm mitten in einer Rechenstunde plötzlich daran denken, wie er vor lauter Eifer gegen den karierten Herrn angerannt war. Bei dieser Erinnerung
    lachte er unvermittelt sein kullerndes Lachen mit dem Schlucker am Schluß. Gleich darauf, als ihm das Ungehörige seines plötzlichen
    Lachens bewußt wurde, nahm er vor Schreck eine Hand vor den
    Mund. Aber der Lehrer war weit davon entfernt, mit ihm zu
    schimpfen. Das Gelächter kam so unerwartet und wirkte so drollig, daß die ganze Klasse lachen mußte, einschließlich des Lehrers. Der hob nur den Finger und sagte: „Lachkanönchen sind die einzigen
    Kanonen, die ich schätze, Timm! Aber laß deine Salven nicht gerade in der Stunde los!“
    Nun wurde Timm das „Lachkanönchen“ genannt, und es gab
    Mitschüler, die in den Pausen nur noch mit ihm spielen wollten.
    Selbst die Stiefmutter und Erwin wurden jetzt manchmal von Timms
    Lachen angesteckt.
    Es war unbegreiflich, was der karierte Herr mit Timm angestellt
    hatte, aber diese neue Unbegreiflichkeit wurde dem Jungen nicht
    bewußt. .
    Trotz mancher bitteren Erfahrung in der Gassenwohnung war er
    noch ein Kind, das arglos und ohne Mißtrauen war. Er merkte nicht, daß sein Lachen den Leuten gefiel und daß er dieses Lachen seit dem Tode des Vaters verborgen hatte wie ein Geizhals seinen Reichtum.
    Er meinte in seinen kindlichen Gedanken, die Erfahrungen und
    Erlebnisse auf der Rennbahn hätten ihn klüger gemacht und deshalb käme er jetzt mit aller Welt so gut aus. Leider war es schlimm, daß Timm so dachte. Hatte er damals schon gewußt, wie kostbar sein
    Lachen war, ihm wäre vieles in seinem Leben erspart geblieben.
    Aber er war eben noch ein Kind.
    Einmal, als Timm aus der Schule kam, begegnete er dem
    karierten Herrn auf der Straße. Der Junge beobachtete gerade eine Hummel, die auf dem Ohr einer schlafenden Katze zu landen
    versuchte. Es sah sehr ulkig aus, und Timm lachte wieder einmal.
    Aber kaum erkannte er den Fremden vom Rennplatz, als alle
    Lustigkeit wie weggeblasen war. Timm machte einen Diener und
    sagte guten Tag.
    Der Fremde tat, als sähe er den Jungen nicht. Er knurrte nur im
    Vorbeigehen: „In der Stadt kennen wir uns nicht!“ Dann ging er
    weiter, ohne ein einziges Mal den Kopf zu wenden.
    „Dieses merkwürdige Benehmen gehört wohl zum
    Geschäftemachen“, dachte Timm. Dann lachte er schon wieder, weil
    die Katze erschrocken aus dem Schlaf auffuhr und mit dem Ohr
    schnippte, auf das die Hummel sich niedergelassen hatte. Ärgerlich brummend flog das dicke Insekt davon, während Timm pfeifend in
    seine Gasse wanderte.

    Vierter Bogen

    Das verkaufte Lachen

    Am langerwarteten Sonntag wollte Timm sich früher als sonst zur
    Rennbahn schleichen. Aber zu seinem Unglück fiel der Blick seiner Stiefmutter gegen halb drei Uhr zufällig auf den Kalender an der
    Wand, und plötzlich erinnerte sie sich daran, daß ihr Hochzeitstag war, der Tag, an dem sie Timms Vater geheiratet hatte. Sie
    schluchzte kurz auf (denn das tat sie sehr gern), und dann mußten tausend Dinge auf einmal erledigt werden: Blumen mußten auf das
    Grab gebracht, Kuchen mußte geholt, Kaffee mußte gemahlen und
    eine Nachbarin mußte eingeladen werden; das Kleid mußte
    gewechselt und das neue Kleid gebügelt werden; Timm mußte
    sämtliche Schuhe putzen und Erwin Blumen kaufen. Timm hätte
    gern den Auftrag für die Blumen und das Grab übernommen. Denn
    wenn er sich dabei beeilte, konnte er immer noch rechtzeitig zu den Rennen kommen. Aber wenn die Stiefmutter aufgeregt war (und sie
    regte sich gern auf), konnte man sich schwer ihren Anordnungen
    widersetzen, weil sie am Ende nur noch aufgeregter wurde und
    schließlich heulend in einen Sessel sank, so daß man erst recht
    gehorchen mußte. Timm verzichtete daher auf jeden Widerspruch
    und ging gehorsam
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