Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tiger Eye

Titel: Tiger Eye
Autoren: Marjorie M. Liu
Vom Netzwerk:
während das Gefühl, gejagt zu werden, ihre Eingeweide verkrampfte.
    Als Dela schließlich aus dem gewundenen Weg heraustrat, fand sie sich plötzlich in der Nähe des Haupteingangs wieder. Ihr Herz pochte heftig, als sie zur Straße lief und einem Taxi winkte. Ein Hauch kühler Luft schlug gegen ihren schweißnassen Nacken.
    »Meine Güte«, die männliche Stimme klang glatt und gedehnt, »Sie haben es aber wirklich eilig. Wie schade.«
    Dela war an unangenehme Überraschungen schon gewöhnt, und trotzdem fiel es ihr jetzt schwer, nicht zusammenzuzucken. Der merkwürdige Mann stand neben ihr, sehr dicht, beinahe schon intim. Er war wunderbar frisiert und atemberaubend attraktiv.
    Ihre Abneigung gegen ihn verstärkte sich. Er war zu perfekt, irgendwie falsch und unecht. Selbst seine Stimme klang übertrieben kultiviert, als versuchte er, einen ihm nicht vertrauten Akzent vorzutäuschen. Sein Lächeln strahlte nichts Liebenswürdiges aus, stattdessen eine verborgene Gier. Dela lief eine Gänsehaut über den ganzen Körper, und dann trat sie rasch aus seinem Schatten, während sie die Stirn runzelte.
    Ein Taxi hielt vor ihr; Dela öffnete die Tür und wollte einsteigen. Der Fremde packte ihre Hand. Seine Berührung brannte, und sie konnte bei dieser merkwürdigen Empfindung nur mit Mühe ein erschrecktes Keuchen unterdrücken. Seine Haut fühlte sich so dünn an wie Pergament, uraltes Pergament, aber so heiß - fast wie Feuer auf ihrer eisigen Hand.
    Ihr Schreck schlug in Ärger um.
    »Lassen Sie mich sofort los!«, stieß sie leise und scharf hervor.
    Er lächelte. »Es ist schon lange her, seit ich eine Konversation mit einer so wunderschönen Frau genossen habe. Vielleicht dürfte ich Ihr Taxi mit Ihnen teilen? Ich kenne ein entzückendes Restaurant in einem Hinterhof.«
    Konversation? Wunderschöne Frau? Dela hätte fast gelacht, nur schien er allen Ernstes ein Ja von ihr zu erwarten; er versuchte sogar, sie in das Taxi zu drängen, während er ihre Hand nach wie vor mit einem eisernen Griff umklammerte und dabei seine Zähne mit einem Lächeln zeigte, das so weiß und plastikartig wirkte wie das einer billigen Puppe.
    »Ich glaube kaum«, fuhr ihn Dela an. Es überraschte und freute sie gleichzeitig, wie sich seine dunklen Augen verengten und sein Lächeln erlosch. Glaubte er wirklich, sie wäre so leicht einzuschüchtern, oder so dumm und verzweifelt? »Und wenn Sie mich nicht sofort loslassen, fange ich an zu schreien.«
    Vielleicht lag es an dem Versprechen in Delas kalter Stimme; jedenfalls verschwand jeglicher Charme schlagartig aus der Miene des Fremden. Seine Verwandlung war atemberaubend. Er beugte sich zu ihr, sein heißer Atem roch schwach nach Knoblauch und Pfeffer. Unter seinem finsteren, herrischen Blick richteten sich Delas Nackenhaare auf, und etwas flatterte gegen ihr Bewusstsein, etwas Bitteres, Scharfes.
    Dela biss die Zähne so hart zusammen, dass ihr der Kiefer wehtat. Der Fremde lächelte wieder, diesmal war es ein echtes Lächeln, strahlend und scharf, während der Speichel in seinem Mundwinkel Bläschen bildete.
    »Wie interessant«, er drückte ihre Hand, bis die Knochen knackten. Der Schmerz löste Wut in Dela aus und verwandelte ihre Angst zu Staub. Niemand tat ihr weh. Niemals. Nicht, solange sich noch ein Atemzug Luft in ihrem Körper befand.
    Sie löste ihre verkrampften Kiefermuskeln, lächelte und... schrie.
    Es war ein wunderbarer, durchdringender Schrei; es erfreute Dela - wenn ihr das auch höchst unbarmherzig schien -zu sehen, wie ein schmerzerfüllter Ausdruck über das Gesicht des Fremden glitt. Fahrräder prallten gegen Wagen, Fußgänger blieben wie angewurzelt stehen und starrten sie an. Dela zog an ihrer Hand.
    »Hilfe!«, kreischte sie auf Chinesisch und Englisch. »Bitte! Dieser Mann will mich berauben! Er wird mich vergewaltigen! Bitte, helfen Sie mir... irgendjemand!«
    Dela glaubte nicht, dass sie in ihrem ganzen Leben schon einmal so verängstigt oder kläglich geklungen hatte. Das Schreckliche war nur - obwohl sie es als Spiel begonnen hatte, die wachsende Wut in dem Gesicht des Mannes flößte ihr plötzlich echte Angst ein. Er sah aus, als wollte er sie mit bloßen Händen umbringen, und zwar auf der Stelle, vor aller Augen. Der Schmerz in ihrem Arm war kaum noch erträglich, als seine Finger ihre Knochen aufeinanderpressten.
    Plötzlich lösten sich Soldaten aus der Menge der Zuschauer, ein vertrauter Anblick auf Pekings Straßen. Die kräftigen jungen Männer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher